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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael Derbort
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zentnerschweren Granitblock umzudrehen.
    Hinter ihm, auf der anderen Seite der Grabreihe, hörte er erneut ein hohles Geräusch, begleitet von einigen erstaunt gemurmelten Worten. Es schien, als hätte er nicht als Einziger mit diesem Phänomen zu tun.
    Er widmete sich wieder dem Grabstein. Eine eingetrocknete Erdkruste verdeckte den Schriftzug. Mit der Hand rieb er so lange darauf herum, bis er den Todestag des hier Bestatteten frei gelegt hatte: 1971.
    Einigermaßen irritiert blickte er wieder in das Grab. Die Gebeine waren zwar schnell aus dem Sarg geholt, aber bei dem Gedanken, den kompletten Sarg aus dem Grab hieven zu müssen, überkam ihn neuer Unmut. Als ob die Buddelei nicht so schon genug wäre.
    Seufzend sprang er wieder in das Grab. Entgegen seiner Erwartung hielt der Sargdeckel seinem Aufsprung stand. Das Holz knackte noch nicht einmal.
    Mit Händen und Schaufel legte er die Verschlüsse des Sarges frei und schraubte sie ab. Nach anfänglichem Widerstand ließen sie sich problemlos herausdrehen.
    Er griff zur Hacke und hebelte den Deckel nach oben. Der Sargdeckel warf einen Schatten über das Innere des Sarges, sodass er noch nicht erkennen konnte, was sich darunter befand. Was ihm indessen entgegenschlug, war ein leichter, aber eindeutig unangenehmer Geruch.
    Kurt blickte nach oben, um möglichst frische Luft zu erhaschen. Dann atmete er tief ein und hielt die Luft dann. Danach ergriff er mit beiden Händen den Sargdeckel und hob ihn vom Sarg herunter.
    Eine Sekunde später sprang er laut schreiend aus dem Grab.
    3.
„Das kann doch nicht wahr sein ...“, murmelte der Ältere.
    Dieser Satz war die einzige Äußerung, zu der er fähig war. Dafür wiederholte er ihn immer wieder.
    Kurt war indessen überhaupt nicht in der Lage, etwas zu sagen. Auch im diffusen Mondlicht war zu erkennen, dass er kreidebleich war. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Mund bebte. Er hatte die Hände um seinen Körper geschlungen, als würde er trotz der Hitze frieren. Sein ganzer Körper zitterte auch, als hätte er Schüttelfrost.
    Alarmiert durch den Schrei seines jüngeren Kollegen war er aus dem Grab gesprungen und zu ihm geeilt. Zuerst dachte er, Kurt hätte sich verletzt.
    Dem war aber nicht so. Fast wünschte er sich, Kurt hätte sich wirklich die Spitzhacke in den Fuß gerammt. Eine solche Verletzung zu versorgen, war in jedem Fall angenehmer als der Anblick, den der geöffnete Sarg bot.
    Es dauerte eine Weile, bis auch er seinen Schock überwunden hatte. Dann drehte er sich entschlossen um, eilte zu dem Grab zurück, das er ausgehoben hatte, sprang hinein und löste mit zitternden Händen die Verschlüsse vom Sarg.
    Er gönnte sich einige Minuten, um sich auf einen ähnlich unangenehmen Anblick gefasst zu machen, ehe er den Deckel aufhebelte und abhob.
    So sehr er es sich wünschte – er wurde nicht enttäuscht. Auch dieses Grab bot den gleichen makabren Anblick.
    Er verließ das Grab und kehrte zu seinem Kollegen zurück.
    Obgleich er eine gute Viertelstunde in seinem Grab beschäftigt gewesen war, um den Deckel vom Sarg zu entfernen, schien sich Kurt während dieser Zeit nicht einen Millimeter bewegt zu haben. Er stand nach wie vor zitternd da und starrte entsetzt in den geöffneten Sarg.
    Die Leiche in dem Sarg bestand nicht etwa aus Knochen, sondern war fast vollständig erhalten. Der Körper des Toten war bis zu einem gewissen Grad mumifiziert, die Wangen waren eingefallen und statt Augen starrten ihn leere Höhlen an. Die Fingernägel waren gelb und widernatürlich lang. Auch die Haare waren seinem Tod noch weiter gewachsen und umrahmten das graubraune mumifizierte Gesicht mit unansehnlichen hellgrauen Strähnen. Die Leiche sah aus, als sei sie einem Zombie-Film entsprungen.
    „Komm“, sagte der Ältere schließlich und schob den zitternden Kurt sanft vom Grab weg. „Der Anblick wird nicht schöner, wenn du die ganze Zeit darauf starrst.“
    Kurt ließ sich widerspruchslos vom Grab wegführen. Die einzige Sitzbank des Friedhofs war nur wenige Schritte entfernt. Er führte Kurt dorthin und drückte ihn sanft auf die Sitzfläche.
    „Ich hole den Pfarrer“, sagte er schließlich, drehte sich um und wollte zum Pfarrhaus gehen.
    „Nein!“ Kurt schrie fast. „Bitte ... Lass mich nicht allein ...“
    Der Ältere sah sich hilflos um. Schließlich holte er seufzend sein Handy aus der Innentasche und wählte die Nummer des Pfarrhauses.
    Es dauerte lange, ehe Pfarrer Schuster abhob und sich schlaftrunken
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