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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael Derbort
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zusammengebundenen Haare und ihr ständig mürrischer Gesichtsausdruck taten ihr Übriges. Diejenigen, die es nicht lassen konnten, sie mit Sticheleien zu ärgern, bekamen ihren Unmut auf recht brachiale Weise zu spüren. Zwei Urlauber, die es witzig fanden, ihr Auftauchen mit Richard Wagners Ritt der Walküre musikalisch zu untermalen, lachten hinterher eindeutig nicht mehr.
    Irmhild hielt sich gar nicht erst damit auf, den Tee an die Gäste auszuschenken, sondern verließ den Raum so rasch wie möglich wieder, ohne ein Wort zu sagen.
    „Anna hat gerade einen Feriengast, der uns vielleicht helfen könnte“, präzisierte Kurt seine Ausführungen. „Irgendein Arzt oder Wissenschaftler oder so ...“
    „Warum sollten wir den guten Mann bei seinem Urlaub stören?“, warf der Priester ein. „Wir könnten auch Doktor Bergmann fragen.“
    Doktor Bergmann war der Dorfarzt. Der alte Mann wollte sich schon seit fünf Jahren zur Ruhe setzen, aber es war ihm absolut unmöglich einen Nachfolger zu finden. Seine Arbeit beschränkte sich in der Regel darauf, zu Erkältungszeiten Hustensaft zu verschreiben oder Totenscheine auszustellen. Während der Urlaubssaison hatte er noch einige zusätzliche Patienten zu versorgen, aber viele davon musste er ohnehin an einen Durchgangsarzt weiterreichen.
    „Dann können wir auch gleich im Dorf herumerzählen, was passiert ist“, knurrte Werner.
    In der Tat – Doktor Bergmann pflegte des Öfteren abends einen kleinen Schlummertrunk zu sich zu nehmen. Wenn dieser Schlummertrunk das dritte Glas Bier erreicht hatte, wurde er redselig. Zu redselig, um genau zu sein. Wenn ihn der Wirt nicht gelegentlich fürsorglich an seine Schweigepflicht erinnern würde, wäre im Dorf wohl die Krankengeschichte jedes einzelnen Bewohners bekannt.
    „Fragen kostet ja nichts“, sagte Pfarrer Schuster schließlich. „Rufen wir mal an.“
    4.
Bianca schob den fast geleerten Eisbecher zurück und ließ sich stöhnend nach hinten sinken. Wenn sie sich nicht bald zusammenriss, würde sie den Urlaub als Tonne beenden.
    Sie beobachtete die Wirtin, die gerade am Telefon ein erregtes Gespräch führte. Bianca wartete auf einen Blickkontakt, um ihr ein Zeichen geben zu können.
    Es sah aber so aus, als müsste sie sich noch ein wenig gedulden. Die Wirtin sah so aus, als wäre der Anruf wenig erfreulich. Sie glaubte, so etwas Ähnliches wie Entsetzen in ihrem Blick zu bemerken.
    Sie beschloss, das Ende des Telefonats erst einmal abzuwarten. Ihre Weinschorle, die sie gerne noch bestellt hätte, konnte ruhig noch etwas warten. Dieser Anruf schien wirklich wichtig zu sein.
    Sie gab es auf, sich auf die Wirtin zu konzentrieren, und widmete sich der Zeitschrift, die sie am Vormittag in dem einzigen Supermarkt des Ortes erstanden hatte.
    Sie kam gar nicht dazu, den Artikel fertig zu lesen, als die Wirtin sichtlich nervös an ihren Tisch kam und begann, das Geschirr abzuräumen.
    „Hat es geschmeckt?“, fragte die Wirtin abwesend.
    Bianca blickte sie aufmerksam an.
    „Alles in Ordnung?“, fragte sie.
    Die Wirtin nickte und lächelte nervös.
    „Mit mir schon ...“, sagte sie schließlich.
    „Aber?“, setzte Bianca nach.
    „Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?“
    „Bitte.“ Bianca machte eine einladende Handbewegung.
    Die Wirtin setzte sich.
    „Sie sind doch Ärztin, oder?“
    „Da muss ich Sie leider enttäuschen“, entgegnete Bianca. „Mein Doktortitel hat nichts Medizinisches. Ich bin Biologin. Genauer gesagt Mikrobiologin.“
    „Das ist vielleicht sogar noch besser“, sagte die Wirtin. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Das Essen geht aufs Haus und ich stelle Ihnen ein paar Fragen. Was halten Sie davon?“
    „Ich glaube, ich komme da nicht so ganz mit ...“ antwortete Bianca irritiert.
    „Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Immerhin machen Sie Urlaub hier.“ Die Wirtin lächelte wieder nervös. „Aber hier ist etwas sehr Merkwürdiges passiert. Es ... es ist ein wenig morbide. Daher gefällt es mir auch gar nicht, dass ich Sie damit belästige. Wenn ich Sie schon damit konfrontiere, dann möchte ich mich wenigstens erkenntlich zeigen.“
    „Bevor Sie jetzt noch weiter die Spannung auf die Spitze treiben, belästigen Sie mich doch erst einmal“, sagte Bianca lächelnd. „Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht sofort in Ohnmacht falle.“
    „Also gut. Mein Freund ist hier im Ort Totengräber. Unser Friedhof befindet sich da oben auf dem Hügel bei der Kirche. Der Platz ist sehr begrenzt.
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