Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael Derbort
Vom Netzwerk:
Daher werden die Knochen der Toten nach einer gewissen Zeit wieder ausgegraben und in einem Beinhaus gelagert, um Platz für neue Gräber zu schaffen.“
    „Das klingt in der Tat wirklich makaber.“
    „Ja. Das ist halt auch der Job von meinem Freund. Im Schnitt liegen die Toten etwa dreißig Jahre unter der Erde. Was erwarten Sie nach dieser Zeit dort vorzufinden?“
    „Knochen“, vermutete Bianca stirnrunzelnd. „Vielleicht noch Gewebereste von der Totenkleidung, Holzreste vom Sarg - viel mehr allerdings nicht.“
    „Und was ist, wenn der Sarg noch völlig intakt ist und die Toten noch gar nicht verwest sind?“
    „Dann würde ich anfangen, mir Gedanken zu machen.“
    „Das Problem ist ... genau das ist passiert. Mein Freund sitzt gerade oben im Pfarrhaus und hat so was wie einen Nervenzusammenbruch. Die haben mich gerade angerufen und mich gebeten, Sie zu fragen, ob Sie dafür eine Erklärung haben ...“
    Bianca runzelte die Stirn und sah die Wirtin an.
    „Ich weiß, Frau Doktor Wallmann ...“
    „Bianca. Nennen Sie mich einfach Bianca. Den Doktortitel habe ich nur, damit mein Vater endlich die Klappe hält.“ Bianca lächelte ihr aufmunternd zu.
    „Also gut ... Bianca ... Ich heiße Anna.”
    „Okay, Anna. Wann schließen Sie hier?“
    Anna sah auf die Uhr.
    „Eigentlich habe ich schon geschlossen. Sie sind der letzte Gast.“
    „Fein. Ich schlage vor, dann gehen wir mal zu diesem Friedhof. Bevor ich etwas dazu sagen kann, möchte ich mir das gerne mal aus der Nähe ansehen.“
    Anna lächelte erleichtert.
    „Und Sie nehmen mir das nicht übel, dass ich damit ankomme?“
    „Nicht im Mindesten. Sie dürfen mir gerne eine gewisse berufliche Neugier unterstellen.“
    „Also gut. Ich trage nur rasch das Geschirr in die Küche und dann können wir los.“
    „Wieso sagen Sie andauernd ‚also gut‘?“, fragte Bianca lächelnd.
    Anna zuckte verlegen grinsend die Schultern.
    „Keine Ahnung.“
    5.
Den Weg von Annas Pension zum Fuß des Hügels legten sie in Biancas Auto zurück. Danach mussten sie wohl oder übel zu Fuß gehen.
    „Meine Güte“, sagte Bianca. „Wenn hier wirklich ein Todesfall ist, wie bekommt ihr dann die Särge mit den Toten hinauf? Mit einem Hubschrauber?“
    Anna lachte auf.
    „Das sollten Sie erst gar nicht versuchen, wenn Sie Pfarrer Schuster nicht zum Feind haben möchten“, antwortete sie. „Nein, die Särge werden hinaufgetragen. Genaugenommen ist das auch die Arbeit der Totengräber. Das ist nicht umsonst der am besten bezahlte Job hier im Ort.“
    „Na, ich würde mich trotzdem nicht darum reißen“, sagte Bianca. „Das ist eine ziemliche Knochenarbeit, nehme ich an.“
    „Im wahrsten Sinne des Wortes“, entgegnete Anna grinsend.
    „Wo liegen die Gräber?“, erkundigte sich Bianca.
    „Das werden die uns dann schon zeigen. Wir sollen zunächst ins Pfarrhaus kommen, bevor wir uns auf den Friedhof begeben.“
    „Ach du meine Güte!“, stöhnte Bianca. „Mir bleibt aber auch gar nichts erspart.“
    „Sie haben es nicht so sehr mit der Kirche, wie?“, vermutete Anna.
    „Stimmt.“ Bianca sah sie lächelnd an. „Reden Sie jetzt trotzdem noch mit mir?“
    „Kein Problem.“ Anna lachte. „Ich bin auch nur auf dem Papier katholisch. Ich vermute, wenn ich jetzt aus der Kirche austrete, wäre das nach über hundert Jahren die erste Hexenverbrennung weltweit.“
    „Na, da bin ich aber beruhigt. Ich kann mich irren, aber Sie wirken auch nicht so, als ob Sie in diesem Ort aufgewachsen wären.“
    „Doch. Mit achtzehn bin ich aber nach Tübingen gegangen und habe angefangen zu studieren. Zwei Jahre später ist meine Mutter gestorben und ich habe die Pension geerbt. Ich hatte lange überlegt, ob ich alles verkaufe, aber dann bin ich doch wieder zurückgekehrt und habe den Laden übernommen.“
    „Wieso?“
    „Ich weiß nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich das meiner Mutter schuldig war. Mein Vater war gestorben, als ich ein Jahr alt war. Meine Mutter hatte die Pension und die Wirtschaft alleine aufgebaut. Es war so etwas wie ihr Lebenswerk. Das konnte ich nicht so einfach wegwerfen.“
    „Und jetzt?“
    „Eigentlich bin ich froh, dass ich es so gemacht habe. Im Sommer und im Winter kommen doch sehr viele Feriengäste. Davon kann man gut leben. Dazwischen habe ich insgesamt drei Monate geschlossen. Die Zeit nutze ich, um aus diesem Nest herauszukommen.“
    Sie hatten die letzten Stufen erklommen und betraten den Kirchhof.
    „Das Pfarrhaus ist dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher