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Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Autoren: Amanda Howells
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Erinnerung an dieses Gefühl stieg jedes Mal in mir auf, wenn ich an das Foto dachte. Und wenn man dieses Gefühl kannte, fiel es schwer, sich davon zu verabschieden, es zu zerreißen und wegzuwerfen. Ich sah mir das Foto zwar nicht mehr an, aber es lag unten in der Schublade meines Nachttischchens, verborgen, aber immer noch da. Vielleicht waren Mamas Träume ähnlich, verborgen in einem Winkel ihrer Seele, nie verwirklicht, aber unvergessen.
    Tante Kathleen dagegen hatte ihre Träume wahrgemacht, und darüber hinaus noch viel mehr. Mama und Tante Kathleen waren in einer wohlhabenden New Yorker Familie aufgewachsen, die jedoch ihr ganzes Geld verlor, kurz nachdem meine Mutter ihr Debüt gegeben hatte. Sie waren gezwungen gewesen, alle ihre Besitztümer zu verkaufen, aber Kathleen hatte ihren Weg bereits eingeschlagen. Bald darauf war sie zu einer erfolgreichen Restaurant- und Weinkritikerin aufgestiegen und hatte Onkel Rufus geheiratet, der praktisch direkt an der Wallstreet in einer bedeutenden New Yorker Bankerfamilie aufgewachsen war.
    Zuerst erwarben sie das Penthouse in Manhattan, dann kauften sie Wind Song zurück, das Sommerhaus in den Hamptons, in dem Kathleen und meine Mutter als Kinder ihre Ferien verbracht hatten. Eigentlich hätten alle darüber glücklich sein sollen, aber tief im Inneren wusste ich, dass Mama verbittert war. Sie tat so, als freue sie sich, in den Ferien hierher zurückzukehren, doch ich wusste, dass sie insgeheim wütend war, weil das Haus nicht ihr gehörte.
    Man konnte es ihr kaum zum Vorwurf machen. Es war ein wunderschönes Haus, das in jedem einen Anflug von Habgier hätte auslösen können. Wind Song war ein Sommercottage, wie es für die Ostküste so typisch war: in traditionellem Stil erbaut, mit Holzschindeln, einem Giebeldach und großen alten Fenstern. Das Haus fügte sich so natürlich in die Landschaft ein wie die Dünen, die Sümpfe und der Strand, der sich weit und weiß erstreckte wie eine Riesenschürze.
    Ein großer Teil der Hamptons wurde von hässlichen Villen verschandelt, aber Wind Song war ein Stückchen Himmel, ein bescheidenes, verschachteltes Heim mit einer weitläufigen Terrasse zum Meer hin direkt am Naturstrand. Ein Ort, an dem der Sommer ewig dauerte.
    »Du hast das schönste Zimmer!« Corinne grinste mich vom Flur aus an, und als ich zu ihr hinschaute, fühlte ich mich dumm und kindisch, weil ich eine so breite Kluft zwischen uns vermutet hatte, ohne ihr überhaupt eine Chance zu geben.
    »Ich bin so froh, hier zu sein!« Ich ließ mich auf mein Bett sinken und streckte die Beine hoch in die Luft. Plötzlich war ich voller Energie. »Ich muss unbedingt eine Runde schwimmen!«
    »Und ich muss was trinken«, erwiderte Corinne, plötzlich launisch. Sie durchquerte das Zimmer, wobei sie ihre Balletthaltung mit dem langgezogenen Rücken zur Geltung brachte, und ließ ihre langen schmalen Arme aus dem Fenster hängen. »Mir ist hier einfach so verdammt langweilig!«
    »Langweilig?«, fragte ich und blinzelte verwirrt. Corinne hatte den Strand immer geliebt. Schon seitdem sie ein kleines Kind war, konnte sie schwimmen wie ein Delphin.
    »Mein Freund Allessandro fährt mit seiner Familie jeden Sommer an die italienische Küste«, erklärte sie und sank am Fenster ins Plié . Ihre langen Glieder vollführten weiträumige Bewegungen, und schließlich stellte sie sich auf halbe Spitze und hielt die Balance. »Ich wollte mitfahren, aber Mama hat es nicht erlaubt. Sie hat von mir verlangt, hier in dieser Einöde zu bleiben.«
    »Einöde?« Ich konnte nicht glauben, dass Corinne so abfällig von unserem liebsten Ort auf der Welt sprach.
    »Hallo, schon mal was vom Hedgefonds-Skandal gehört? Oder von der Wirtschaftskrise? Ganz New York steht kopf. Southampton ist die reinste Geisterstadt. In der Bucht findet man sogar verlassene Yachten im Schilf. Kannst du dir das vorstellen? Die Leute lassen ihre Yachten irgendwo zurück, weil sie sich die Liegegebühren nicht mehr leisten können. Es ist deprimierend.« Corinne verzog ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse.
    Doch dann fand sie ihr Lächeln wieder und schenkte es mir. »Aber jetzt bist du ja hier. Ich freue mich wirklich, dich zu sehen.« Sie drehte eine Pirouette, wirbelte auf mein Bett zu, verschränkte die Beine und grinste breit, mit Zähnen weiß wie Tic-Tacs. Corinne war noch hübscher geworden. Sie war noch immer sehr dünn, aber sie war ja auch Balletttänzerin und ihre Magerkeit passte zu ihrer
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