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Der Sommer der Legenden

Der Sommer der Legenden

Titel: Der Sommer der Legenden
Autoren: Sarah Eden
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vom Mondschein wie bei einer laterna magica auf den Boden projiziert wurde, nicht stimmte.
    Doch sie fand nicht heraus, was es war.
    Statt dessen beschloss sie, aufzustehen und das Fenster zu schließen.
    Heftiger Sturm heulte ums Haus, und irgendwie war das Geräusch angsteinflößend.
    Bei der Gelegenheit wollte sie auch die schweren Übergardinen vorziehen, um nicht länger von den unheimlichen Schattenmustern irritiert zu werden.
    Mit geschmeidigen Bewegungen glitt sie fast lautlos aus dem Bett und eilte auf Zehenspitzen zum Fenster.
    Ihr nackter Körper schien noch innerlich nachzuglühen in Erinnerung an die Zärtlichkeiten, die sie mit Fisher vor dem Schlafengehen ausgetauscht hatte.
    Aber der hölzerne Dielenboden war kühl und ernüchterte sie merklich.
    Ein Windstoß vertrieb die Hitze auf ihrem Gesicht. Mit brennenden, immer noch etwas schlaftrunkenen Augen spähte sie hinaus in die Schwärze der Nacht.
    Sie sah, wie es am fernen Horizont irrlichterte. Da draußen schien sich alles zu bewegen. Die Ranch war der einzige Fixpunkt inmitten wütender Naturgewalten.
    Himmel, dachte Carol, wie sehr die Nacht alles verfremdet...
    Nur zögernd löste sie den Blick von der Weite des Tales und suchte nach dem Objekt, das ihr solche Angst einflößte: dem Galgen...
    Als sie ihn im Mondschein betrachtete, wünschte sie sich, sie wäre nicht mitten in der Nacht erwacht und aufgestanden...
    Wären sie doch nie in diese Einöde gezogen!
    Carol glaubte, den Verstand verlieren zu müssen.
    Das war kein dummer Jungenstreich!
    Sie wollte schreien - aber das Grauen erstickte jeden Laut.
    Sie merkte, wie der Boden unter ihr zu schwanken begann, doch ganz am Rande ihres Bewusstseins wusste sie, dass dies nicht stimmte, dass sie nur ganz langsam die Besinnung verlor... Aber auch diese Erkenntnis half ihr nichts.
    Das Entsetzen schüttelte sie und drohte, sie in den Wahnsinn zu stürzen.
    Dort oben - am höchsten Punkt des Ranchgebäudes - wuchs nicht mehr nur ein einsames Holzgerüst wie ein klagender Finger in den Himmel...
    Dort oben tanzte ein menschlicher Körper an einem Strick um den Hals im Sturm!
    Ein Toter, den sie vor Wochen beerdigt hatten.
    Big John Murdock...!

    Carol hatte das Gefühl, innerlich zu Eis zu erstarren.
    Sie durchlebte schreckliche Qualen und merkte kaum, dass sich endlich befreiende Entsetzensschreie aus ihrer Kehle lösten.
    Dann war Fisher plötzlich bei ihr.
    Er fing sie gerade noch auf, als sie zusammenbrach, und trug sie zum Bett.
    »Der... Galgen...«, presste Carol mühsam hervor. »Onkel...«
    Mehr konnte sie nicht sagen, denn eine gnädige Ohnmacht verschloss ihr die Lippen.
    Als sie wieder zu sich kam, saß Fisher neben dem Nachttisch auf der Bettkante und telefonierte aufgeregt mit der Polizei.
    Carol ließ sich eine Weile, mit offenen Augen daliegend, einfach treiben, hörte zu und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
    Aber das Grauen rann noch immer wie flüssiges Eis durch ihre Adern. Allmählich setzte sich der Schock richtig durch.
    Carol zitterte wie Espenlaub und konnte sich auch nicht beruhigen, als Fisher endlich den Hörer auflegte und einfach zu ihr ins Bett gekrochen kam, um sich an sie zu schmiegen und ihr mit seiner Nähe zu helfen.
    »Ruhig«, flüsterte er sanft. »Ganz ruhig... Es wird alles gut...«
    Carol antwortete nicht. Fisher sprach zu ihr wie zu einem erschrockenen Kind, aber das Bild des Erhenkten hatte sich wie mit Feuer in ihr Bewusstsein gebannt.
    Sie war ausgepumpt, kraftlos, gelähmt. Ihr Körper war ein Kokon aus Angst, der unentwegt vom harten Hämmern ihres Herzschlags erschüttert wurde.
    Sie fühlte sich dreitausend Jahre alt und wollte nur noch sterben...
    In diesem Augenblick öffnete sich die Zimmertür, und Taylor stand auf der Schwelle. Sie musste durch den Lärm erwacht sein. Im dünnen Nachthemd und mit dem zu Zöpfen geflochtenen Haar sah sie aus wie ein ganz normales Kind.
    Aber ihre beiden Hände umschlossen den geheimnisvollen blutroten Stein, den sie zu ihrem Talisman erkoren hatte, und das veränderte Taylor auf unerklärliche Weise.
    Seit sie das Ding wie einen kostbaren Schatz mit sich herumschleppte, war der kindliche Ausdruck aus ihren Augen verschwunden...
    Fisher rief nach ihr, und nach einem kurzen Moment des Zögerns kam sie rasch zu ihnen ins Bett gekrochen. Dabei redete sie kein einziges Wort.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, flüsterte Fisher.
    Aber Taylor wirkte gar nicht, als fürchtete sie sich vor etwas. Sie lag einfach da,
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