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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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    4. Oktober 2006
    Jimmy wirft aus und ist wieder dreizehn, der König vom Tathra-Pier. Er steht an seinem Platz, Jimbos Platz sagen die anderen dazu, keiner außer ihm hat den Mumm da raufzuklettern, hoch oben auf dem Südpfeiler steht er, unter sich die anderen Angler, ein Teppich aus Hüten, ein Dickicht aus Ruten. Fisch um Fisch zieht er heraus - Lachs, Blaufisch, Makrele, glänzend und zappelnd landet einer nach dem anderen auf den Planken. Bei niemandem sonst beißt einer an, und sie starren zu ihm hinauf, als triebe er Voodoo oder so.
    »Was ist dein Geheimnis, Kleiner?«, fragt irgendwann Costa, der fette Grieche, dem der Stolz in der Kehle steckt wie schlechtes Gyros.
    Jimmy grinst - daheim ist es furchtbar, in der Schule läuft’s kaum besser, aber hier am Tathra-Pier, da ist er der König.
    »Du musst es im Handgelenk haben, Costa«, sagt er und grinst wie die Katze, die den Milchladen leergetrunken hat. »Es kommt alles aus dem Handgelenk.«
     
    Vierzig Jahre danach, und immer noch kommt es alles aus dem Handgelenk, Costa. Alles aus dem Handgelenk.
    Blau und weiß schraubt sich der Nilsmaster-Köder in
trägem Bogen durch die schwere Luft, bis fast ans andere Ufer des Billabongs, wo sich schlanke Kajeput- und spitz zulaufende Schraubenbäume am stehenden Wasser drängen wie Rinder in Dürrezeiten vor einem Staudamm. Die Demobilisierung war mit der Demobilisierung nicht einfach erledigt, man musste in den normalen Alltag zurückfinden - jeden Morgen duschen, wieder frühstücken und eben angeln. Jesus, keiner sonst fängt solche Fische wie er.
    »Barramundi-Kid« hat Barry ihn neulich erst genannt.
    Und er hatte es von Anfang an gespürt, auch wenn es eine Weile gedauert hatte, bis es ihm klar geworden war: ein Junkie und Selbstachtung, das geht nicht wirklich zusammen.
    Aber gestern, da hätte nicht viel gefehlt, und Barry hätte ihm den Kopf abgerissen.
    »Lass das Angeln eine Weile sein, Jimmy«, hatte er gesagt. »Und bleib von dem Scheiß-Billabong weg.«
    Aber er ist trotzdem gekommen, hat sich fortgeschlichen, als niemand aufpasste. Denn wenn er zum Abendessen einen fetten Barra anschleppte, dann würde Barry seine Meinung schon ändern. Ein richtig fetter Barra hat noch jeden umgestimmt.
     
    Der Köder küsst das Wasser, und Jimmy lächelt - genau da wollte er ihn haben, knapp vor dem entwurzelten Baum mit dem glatten, sandweißen Stamm, der dort im Wasser ruht. Er lässt den Köder sinken und fängt zu drillen an - drei Umdrehungen, und die Angelspitze zuckt, drei Umdrehungen und ein Zucken. Der Köder stoppt, die Schnur spannt sich, und einen kurzen Moment lang meint er schon, es hat einer angebissen, aber Jimmy hat zu viele Fische gefangen,
als dass er nicht wüsste, dass das keiner ist. Die Schnur hat sich irgendwo verfangen. Er versucht es mit allen Tricks, läuft am Billabong-Ufer hin und her, um einen günstigen Winkel zu erwischen, aber das einzige Resultat ist, dass sich die Schnur im Baum verheddert. Dieses Land ist des Köders Feind, und man muss schon damit rechnen, ab und an mal einen zu verlieren. Aber das war Jimmys letzter Nilsmaster. Er hat zwar auch ein paar dieser neumodischen, dreihakigen Schwabbeldinger, aber im Grunde schwört Jimmy auf das Altbewährte. Also befreit er sich von T-Shirt und Shorts; nur die Feinripp-Unterhose behält er an, über seinen dürren Beinen, dem weißen Oberkörper, der übersät ist von kleinen blauen Flecken. Er stakst ins Wasser, zwischen den Zehen quillt Schlamm, und das Nass schwappt an seine dünnen Waden.
    Ihm fällt ein, was der Aborigine gesagt hat. »Dort großes, altes Bosskrokodil, was Name heißt Sweetheart.«
    Aber Jimmy ist sich da nicht so sicher. Der Aborigine hat die ganze Zeit gegrinst, und er weiß, die Aborigines lieben es, sich über Weiße lustig zu machen, vor allem, wenn sie aus dem Süden sind, so wie er. Er angelt jetzt hier schon einen vollen Monat und hat noch kein Anzeichen von einem Krokodil entdeckt. Obwohl das natürlich nicht heißt, dass da keins ist. Wenn Jimmy in Vietnam eins gelernt hat, dann dies: Nur weil man etwas nicht sieht, bedeutet das noch lange nicht, dass es nicht da ist. Er späht das Ufer ab. Nichts. Er schwimmt los, stößt mit den Armen die Seerosenblätter aus dem Gesicht. Schließlich findet er seinen Rhythmus und teilt das Wasser mit den Händen.
    Wieder ist er dreizehn und der König vom Tathra-Pier. Damals ist er, ohne zu zögern, mit seinen Freunden hineingesprungen
und an Land
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