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Der Sommer der lachenden Kühe

Titel: Der Sommer der lachenden Kühe
Autoren: Arto Paasilinna
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Schneeschmelze nach Hause durfte. Aber daraus wurde nichts, denn der Sergeant wurde in der folgenden Woche schwer an der Hüfte verwundet. Er starb beim Transport ins Lazarett, wie ich später hörte.
    Ja, so war das damals. Das weiß ich alles noch ganz genau.«
    4
    An diesem Abend im Aulanko kehrte Taavetti Rytkönen in seiner Erinnerung weit in die Vergangenheit zurück, dabei spornte ihn an, dass ihm der Jüngere bereitwillig zuhörte. Vieles fiel ihm wieder ein, er erzählte von seiner Kindheit, von seinen Schuljahren und seinen Kriegska­ meraden. Er erinnerte sich, dass er an der Abteilung für Landvermessung der Technischen Hochschule studiert hatte, wo er sowohl in der Bodenordnung als auch in Geodäsie unterrichtet worden war. Er vermutete, dass er aus Hankasalmi stammte, dieser Eindruck verstärkte sich im Laufe des Abends. Sogar den Namen seiner Großmutter wusste er jetzt: Senni! Er erinnerte sich, dass er als vierjähriger Knabe beinah in dem Fluss ertrunken war, der durch sein Heimatdorf floss, er war untergetaucht, um Wasserpflanzen zu pflücken, die dort so verführerisch schwammen. Man hatte ihn herausge­ fischt und ihm, sowie er wieder zu sich gekommen war, eine kräftige Tracht Prügel verabreicht.
    Auf Seppo Sorjonens Bitte hin versuchte er ange­ strengt, sich auch weniger weit zurückliegende Dinge ins Gedächtnis zu rufen, aber ihm fiel nichts ein, nicht mit so wenig Alkohol im Blut. Im Laufe des Abends und nach zahlreichen Schnäpsen kam sein Gedankenfluss jedoch wenigstens so weit in Gang, dass er die Vermu­ tung äußerte, er wohne in Espoo im Stadtteil Tapiola oder vielleicht auch Haukilahti, im besten Fall in We­ stend. Als er sein Gehirn aufs Äußerste strapazierte, sah er das halbwegs vertraut erscheinende Bild von einem Reihenhaus mit großen Fenstern, einer Terrasse, einem Vorgarten, einer Hecke aus Erbsensträuchern, Gehwegplatten aus imprägniertem Holz und einer Au­ ßenleuchte links oben am Terrassendach vor seinem geistigen Auge. Beim Nachbarn bellte ein trauriger Kö­ ter, der manchmal tagelang dort allein gelassen wurde.
    Am tiefsten hatten sich die schweren Kriegsjahre in Rytkönens Gedächtnis eingegraben und mit ihnen die Kameraden, die damals seine Freunde geworden waren. Er zählte eine Reihe von Namen auf, die Seppo Sorjonen eilig auf der Serviette notierte: Santeri Pihlajamäki, ein aus Ylöjärvi stammender Sergeant, der jähzornige Heikki Mäkitalo aus Lestijärvi, damals der Schreiber der Pan­ zerkompanie, Reijo Aaltio, ein Fähnrich aus Oulu, viel­ leicht auch aus Vaasa, und natürlich Gefreiter Jänkälä, der alte Halunke hoch oben im Norden, ein Kamerad aus dem Lapplandkrieg. Diese Männer hatte er auf den Feiern der Kriegsveteranen wiedergetroffen; sie hatten oft auf die Panzerfahrer miteinander angestoßen, aber nicht mehr in letzter Zeit. Wer wusste, ob sie alle über­ haupt noch am Leben waren.
    »Es wäre nett, die Burschen mal wieder zu sehen«, äußerte Taavetti Rytkönen wehmütig. Er hob sein Glas, betrachtete die schimmernde Flüssigkeit und sagte dann: »Ich bin wohl ein ziemlicher Säufer, aber dieses Gebräu schmeckt mir einfach so gut.«
    Seppo Sorjonen rief im Laufe des Abends seinen Chef an und berichtete, er sei in Hämeenlinna, im Hotel Aulanko, gelandet. Der Chef befahl ihm, den Kunden abzukassieren und auf der Stelle nach Helsinki zurück­ zukehren. Es sei keine Zeit, zur besten Touristensaison lange Touren mit dem Taxi zu machen, am Vortag zum Beispiel hätten im Südhafen zwei große Kreuzfahrtschif­ fe festgemacht, und in Otaniemi veranstalteten Augen­ ärzte einen Kongress mit mehr als tausend Teilnehmern, beide Ereignisse bedeuteten viele Stadtfahrten.
    Als Rytkönen hörte, dass Sorjonen am Morgen sofort nach Helsinki zurückkehren musste, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. Er hatte geglaubt, endlich einen anständigen Fahrer und prächtigen Kameraden, einen interessierten Zuhörer gefunden zu haben, und nun erklärte dieser plötzlich, er müsse kassieren und abfah­ ren. Was sollte aus einem alten, gedächtnislosen Kerl wie ihm in dieser fremden Stadt werden, wenn der ande­ re ihn jetzt verließ? War dies der Welt Lohn, die Ent­ schädigung für gutes Essen und Trinken, für ein teures Hotel und unterhaltsame Geschichten?
    Seppo Sorjonen blieb nichts anderes übrig, als den alten Mann zu bitten, ebenfalls wieder in den Süden zurückzukehren. Vielleicht würde er ja sein Zuhause in Espoo finden? Sie könnten beide
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