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Der Sommer der lachenden Kühe

Titel: Der Sommer der lachenden Kühe
Autoren: Arto Paasilinna
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wirkte ent­ schlossen. Er runzelte die Stirn, während er mit steifen Fingern versuchte, seine Krawatte zu binden.
    Sorjonen kam nicht an ihm vorbei und musste anhal­ ten. Er kurbelte das Seitenfenster herunter und be­ schloss zu warten, bis der Alte fertig sei. Ein wenig amüsiert fragte er sich, ob der Mann seinen Schlips gerade mitten im lebhaftesten Verkehr knoten müsse. Hinter Sorjonens Taxi bildete sich rasch eine Auto­ schlange. Doch wozu sich aufregen? Sollte der Alte ruhig erst seine Krawatte in Ordnung bringen. Man fühlt sich ziemlich verlassen, wenn man nicht weiß, wer man ist, wo man herkommt und wo man hinwill.
    So erging es Taavetti Rytkönen, achtundsechzig Jahre alt. Er war unterwegs, konnte jedoch nicht sagen, zu welchem Ziel, und auch nicht, wo sein Ausgangspunkt gewesen war.
    Er hatte gerade das Tapiolaer Kontor der National-bank verlassen. Dort hatte er seine Brieftasche mit seinen Ausweispapieren liegen lassen, doch das Geld, das er am Schalter in Empfang genommen hatte, hatte er immerhin eingesteckt. Die Summe war durchaus nicht gering, es handelte sich um Tausendmarkscheine in einem Bündel, anderthalb Zentimeter dick und von einem Gummiband zusammengehalten. Zu welchem Zweck er eine so große Summe abgehoben hatte, wusste er nicht mehr und auch nicht, dass er soeben sein Konto abgeräumt hatte.
    Rytkönen war auf den Straßen und Plätzen von Tapio­ la umhergeirrt und hatte versucht, sich zu erinnern, zu welchem Zweck er unterwegs war. Er war nervös gewor­ den und hatte Angst bekommen. Er hatte seinen Schlips gelockert. Wusste er überhaupt noch seinen eigenen Namen? Taavetti… Taavetti Rytkönen, so hieß er! Gott sei Dank. Er war sehr erleichtert, dass ihm wenigstens sein Name wieder eingefallen war.
    Der alte Mann hatte gemerkt, dass er auf einen gro­ ßen Platz voller Autos gelangt war. Der Ort kam ihm bekannt vor. Der Schlips hatte ihm lose auf der Brust gebaumelt. Er hatte ihn ärgerlich abgenommen und war in Richtung Otsolahti losmarschiert. Bald hatte er be­ merkt, dass er so nicht korrekt gekleidet war, und be­ schlossen, den Schlips wieder umzubinden. Doch das war gar nicht so einfach. Wie machte man das noch gleich? Wie mussten die Enden der Krawatte miteinan­ der verschlungen werden, damit ein korrekter doppelter Knoten entstand? Rytkönen hatte krampfhaft versucht, sich zu erinnern.
    Nun stand Taavetti Rytkönen also mitten auf der Fahrbahn und mühte sich mit seiner Krawatte ab. Mal wurde der Knoten zu dick, mal geriet er an die falsche Stelle. Rytkönen fragte sich wütend, welcher Idiot sich eigentlich den ganzen blöden Krawattenzwang ausge­ dacht hatte. Hunderte Millionen Männer mussten sich jeden Morgen einen nutzlosen Lappen um den Hals binden, ehe sie zur Arbeit gingen. Wenn einer keinen Schlips trug, schloss man daraus, dass er weniger Lohn bekam als jene, die sich dem Lappen fügten. Das Ding verursachte nur Mühe und Arbeit, und außerdem sah es lächerlich aus. Idiotisch. Genauso gut könnten die Männer eine Wetterfahne am Hut tragen. Aber ein Gentleman ging nicht ohne Krawatte aus dem Haus, so viel war klar.
    Seppo Sorjonen bekam allmählich Bedenken wegen der Autoschlange, die sich hinter ihm gebildet hatte. Er stieg aus und trat zu dem grau gekleideten Herrn.
    »Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
    Taavetti Rytkönen war erfreut. Er legte den Kopf in den Nacken und ließ Sorjonen den Schlips zu Ende binden.
    Der Blick des alten Mannes war fügsam. »Hier hat man keinen Spiegel, und ohne den klappt es
    nicht… Man sieht seinen Hals einfach nicht.« Taavetti Rytkönen, ein Mann vom alten Schlag, mach-
    te höflich Konversation. Als der Schlips endlich saß, ließ sich Rytkönen ohne Umschweife auf den Rücksitz des Taxis fallen. Erleichtert schloss er die Augen.
    »Wo soll’s hingehen?«, fragte Sorjonen. »Egal, einfach vorwärts.«
    Sie fuhren los. Der lange Stau löste sich auf. Sorjonen betrachtete seinen Fahrgast im Rückspiegel. Der Mann wirkte seriös, aber er hatte sich anscheinend noch nicht für ein Ziel entschieden. Mit dem psychologischen Ge­ spür eines Taxifahrers beschloss Sorjonen, dass der Alte wohl ein wenig sonderbar war, ihn aber vermutlich nicht übers Ohr hauen wollte. Sorjonen wartete ab.
    Taavetti Rytkönen konnte sich nicht recht entschlie­ ßen, wohin er fahren sollte. Der Fahrer starrte ihn im Spiegel an, das machte ihn nervös.
    »Fahren Sie einfach, wohin sie wollen«, entschied Ryt­ könen. Seppo Sorjonen steuerte
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