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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers
Autoren: Stephen R. Lawhead
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etwa, daß ich Euch eine meiner Schutzbefohlenen übergebe, ohne Euch zu kennen? Soweit ich weiß, könntet Ihr genau derjenige sein, vor dem sie hierhergeflohen ist.«
    »Aber ich bin ihr Sohn«, entgegnete Murdo zaghaft und blickte hilfesuchend zu Emlyn.
    »Es gibt auch mörderische Söhne, ebenso wie lüsterne, habgierige Ehemänner«, erwiderte die Äbtissin. »Und die Tatsache, daß Ihr in Begleitung eines Mönchs eines verrufenen Ordens hierhergekommen seid, dient Eurer Sache nicht im mindesten.«
    »Schwester Äbtissin«, mischte sich Emlyn in sanftem Tonfall ein. »Eure Wachsamkeit gleicht der des heiligen Petrus; aber ich bezeuge vor Gott, daß dieser junge Mann ins Heilige Land und wieder zurückgereist ist, nur um ein schreckliches Unrecht zu bereinigen, das seiner Familie widerfahren ist. Sein Vater, Frau Niamhs Gatte, ist bei der Eroberung Jerusalems gefallen, und.«
    »Jerusalem ist gewonnen?« Die Äbtissin riß erstaunt den Mund auf. »Seid Ihr sicher?«
    »So sicher, wie ich weiß, daß Sonne und Sterne am Himmel stehen«, antwortete Emlyn geschickt. »Wir waren dort, und wir haben den Sieg mit unseren eigenen Augen gesehen.«
    »Lob und Ehre sei dem allmächtigen Gott«, erklärte die Nonne. »Wir haben noch nichts davon gehört.«
    »Verzeiht mir«, sagte Emlyn. »Ich dachte, auch hier sei die Nachricht bereits eingetroffen; ansonsten hätte ich Euch selbstverständlich sofort davon erzählt.«
    »Jerusalem ist den Händen der Heiden entrissen«, seufzte die alte Äbtissin. »Christus hat am Ende doch gesiegt.«
    »Um Frau Niamh eben dies zu sagen, sind wir hierhergekommen«, fuhr der Mönch fort. »Daß Jerusalem gewonnen wurde; doch der Preis war hoch. Auch ihren Gatten kostete es das Leben - traurige Neuigkeiten für die Frau, soviel steht fest. Doch wir hoffen, daß wir ihre Trauer mindern können, indem wir sie mit ihrem überlebenden Sohn wiedervereinigen.« Er legte eine Hand auf Murdos Schulter. »Wir bitten Euch nur um eine Möglichkeit, kurz mit ihr zu sprechen, und ob sie dann bleiben oder mit uns gehen will, ist ihre Entscheidung und nur ihre allein, ganz so, wie Ihr gesagt habt.«
    Der beschwichtigende Tonfall des Mönchs zeitigte die beabsichtigte Wirkung. Tatsächlich wirkte seine Rede sogar so gut, daß Mur-do glaubte, die Äbtissin habe die ganze Zeit über auf eben diese Worte gewartet.
    »Also gut«, erklärte Äbtissin Angharad. »Ich werde veranlassen, daß Ihr Frau Niamh sehen könnt. Bitte, wartet hier.«
    Die pflichtbewußte Äbtissin eilte von dannen und überließ die beiden Besucher sich selbst. Nervös und auch ein wenig wütend, weil er wieder einmal warten mußte, ging Murdo im Zimmer auf und ab. Um ihn abzulenken, erzählte Emlyn von dem Konvent und erklärte, wie nützlich er an diesem Ort sei und daß die Schwestern
    unablässig zum Wohl der Menschen arbeiteten.
    Murdo winkte ihm zu schweigen, als die Äbtissin plötzlich wieder die Tür öffnete. Mit gefalteten Händen betrat sie den Raum, schürzte die Lippen und betrachtete den dicken Bruder mit offener Mißbilligung. Dann wandte sie sich an Murdo. »Frau Niamh will Euch jetzt sehen. Folgt mir, und ich werde Euch zu einem Ort führen, wo Ihr ungestört sprechen könnt.«
    Die Nonne führte sie über den Hof zu einer hölzernen Tür in der Mauer. Hier blieb sie stehen und bedeutete Murdo hindurchzugehen. »Ihr habt nur ein paar Augenblicke.«
    Murdo dankte der Äbtissin und trat durch die Tür. »Geh du nur«, sagte Emlyn. »Ich werde am Tor bei Jon auf dich warten.«
    Murdo fand sich in einem kleinen Obstgarten wieder, der auf allen Seiten ummauert war, um die Bäume vor dem eisigen Nordwind zu schützen. Doch am heutigen Tag, mitten im Frühling, war die Luft warm und erfüllt vom Summen der Bienen, die von einer Apfelblüte zur nächsten flogen. Die Sonne schien hell, und es dauerte einen Augenblick, bis Murdo die gebückte Gestalt im Schatten der Äste bemerkte.
    Die Gestalt war in eine graues, formloses Gewand gehüllt und trug den Umhang der Nonnen. Sie kniete über etwas am Boden und hatte Murdo den Rücken zugekehrt. Unsicher trat Murdo zwei Schritte auf die Gestalt zu, dann blieb er stehen. »Mutter?« fragte er mit leiser Stimme, um sie nicht zu erschrecken.
    Sofort erstarrte die Gestalt.
    »Mutter«, wiederholte Murdo. »Ich bin es. Murdo. Ich bin zurückgekehrt.«
    Die Frau drehte den Kopf, und Murdos Herz zog sich zusammen. »Ragna?«
    Die schlanke, junge Frau stand langsam auf und trat zögernd einen
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