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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Ort wirkte ungewöhnlich geschäftig. Murdo war überrascht, hier viele Männer zu sehen - einige waren Mönche, doch es gab auch Handwerker und Arbeiter; er hatte immer geglaubt, ein Konvent stünde ausschließlich Frauen offen.
    »Der Konvent ist nur ein Teil der Aufgabe, die uns Gott aufgetragen hat«, erklärte Äbtissin Angharad, nachdem sie die Besucher in dem kleinen Haus neben dem Kapitel empfangen hatte. Emlyns Rat folgend bemühte sich Murdo, höfliche Konversation zu betreiben, doch alles, woran er denken konnte, waren Ragna und seine Mutter. »Ein wildes Land zu zähmen ist ein ausgesprochen anstrengendes Unterfangen. Wir schicken niemanden weg, der bereit ist, sich seinen Lebensunterhalt im Schweiße seines Angesichts zu verdienen.«
    »Und allem Anschein nach habt Ihr große Erfolge mit Eurer Arbeit«, bemerkte Emlyn. »Die Siedlung blüht, wie ich sehe. Sie wächst und gedeiht.«
    »Es ist Gott, der uns gedeihen läßt, lieber Bruder«, erwiderte die Äbtissin in scharfem Ton. Mit ihrem schmalen Gesicht und der faltigen, von Sonne und Wind gegerbten Haut wirkte sie trotz ihrer Jahre ausgesprochen kraftvoll - und sie war weit hartleibiger, als Mur-do erwartet hatte. »Wenn wir gedeihen«, fuhr sie fort, als erteile sie unartigen Kindern eine Lektion, »dann nur aufgrund unseres Gehorsams. Wir streben nur danach, als Leuchtfeuer in einem dunklen, bösen Land zu scheinen.«
    »Und doch«, entgegnete Emlyn in freundlichem Tonfall, »liegt auch Freude in dem Weg zu diesem Ziel, habe ich nicht recht? Gehorsam ist gut. Achtung ist besser, und Liebe ist das Beste von allem. Der Herr unser Gott ist groß in seiner Güte.«
    Die dürre, alte Äbtissin betrachtete ihn mit steinerner Miene, und ihre grauen Augenbrauen zuckten. »Wie ich sehe, seid Ihr und Eure Brüder noch immer Sklaven dieser alten Täuschung. Wir werden fortfahren, für Eure Erleuchtung zu beten«, erklärte sie streng.
    »So wie wir für die Eure«, erwiderte Emlyn. Sein plötzliches Lachen ließ die ernste Frau tadelnd die Augenbrauen hochziehen und die Lippen schürzen. »Verzeiht mir«, sagte Emlyn rasch, »aber mir ist gerade der Gedanke gekommen, wenn der Herr unser Gott unser beider Flehen gleichzeitig erhören würde, dann würde dies Schottland sicherlich zum meist erleuchteten Reich der Welt machen.«
    Der Frohsinn des sanften Mönches ließ die Äbtissin unbeeindruckt. Sie faltete die Hände vor der Brust und sagte: »Nun denn, ich glaube nicht, daß Ihr nur hierhergekommen seid, um Euch nach dem Wohlbefinden meiner Seele zu erkundigen. Gibt es vielleicht noch einen anderen Grund für Euren Besuch?«
    »Wir sind gekommen, um.«, begann Emlyn.
    »Wir sind gekommen, um Frau Niamh von Dyrness zu finden«, fiel ihm Murdo ins Wort, denn seine Geduld war am Ende. »Ist sie hier? Geht es ihr gut?«
    Äbtissin Angharad betrachtete ihn, als hätte er Gott gelästert. »Und wer seid Ihr, daß Ihr Euch um ihr Wohlbefinden sorgt?«
    »Ich bin ihr Sohn«, antwortete Murdo und erklärte, daß er seinem Vater auf den Kreuzzug gefolgt und soeben erst zurückgekehrt sei. »Man hat uns gesagt, meine Mutter sei zusammen mit einigen anderen hierhergebracht worden. Ich bin gekommen, um sie wieder nach Hause zu holen.«
    »Ich kann euch sagen, daß sie hier ist und daß es ihr gutgeht«, erwiderte die Äbtissin. »Allerdings kann es gut sein, daß sie nicht wünscht, mit Euch zurückzugehen, und ich werde sie auch nicht dazu zwingen.«
    Murdo starrte die Frau an. Der Widerstand, der ihm hier entgegengebracht wurde, war so hart wie eine Wand aus Granit, und er begann allmählich zu verstehen, warum ihn Emlyn zur Vorsicht und Freundlichkeit ermahnt hatte.
    »Aber sie wird mich doch sehen wollen«, erklärte Murdo. »Sicherlich hat sie die ganze Zeit auf meine Rückkehr gewartet.«
    »Vielleicht«, gestand ihm die Äbtissin zu. »Vielleicht aber auch nicht. Das wird festzustellen sein.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Murdo und wurde von Augenblick zu Augenblick verwirrter und verzweifelter.
    »Das ist nicht schwer zu verstehen«, erwiderte die Äbtissin und schenkte ihm ein kurzes, überlegenes Lächeln. »Frauen kommen aus vielerlei Gründen hierher. Häufig stellt eine Frau fest, daß ihr das Schicksal oder manchmal sogar ihr Körper zur Last geworden ist. Aber was auch immer der Grund sein mag, wir nehmen sie auf, bieten ihnen eine Zuflucht und beschützen sie, so gut wir können.« Sie hielt kurz inne und preßte die Lippen aufeinander. »Erwartet Ihr
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