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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes
Autoren: Arto Paasilinna
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Kiefer erinnert eher an das Gebiß einer Ratte oder eines Kojoten, als an das eines Menschen. Zwei Wochen lang ertönten Huurulainens Schmerzensschreie aus der Gesindestube, aber nach Abschluß der Behandlung konnte er mit neuen, korrigierten Zähnen lächeln, und man hatte den Eindruck, als sei der Mann menschenähnlicher geworden.
    Huurulainen war also glücklich und Anelma zufrieden. Ein mehr als erbärmliches Schicksal hatte dagegen Frau Moisander zu erleiden. Sie wurde schon seit vielen Monaten in der geschlossenen Abteilung der Nervenklinik Hesperia festgehalten. Sie wurde mit betäubenden Medikamenten vollgestopft und behandelt wie eine Gefangene. Frau Moisander hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, aber sie war beileibe nicht verrückt genug, um ein Leben lang in der Nervenklinik eingesperrt zu werden. So hatte es allerdings den Anschein: Die psychiatrischen Kliniken in Finnland behielten ihre Patienten genau im Auge, damit diese nicht ins Gemütskurhaus Ronkaila flüchteten. Weil Frau Moisander aus Helsinki stammte und als chronischer Fall eingestuft wurde, beschloß man im Herbst, sie von Hesperia nach Nikkilä zu verlegen, wo die unheilbar Verrückten aus der Hauptstadt in ländlicher Umgebung betreut wurden. Zusammen mit zwei anderen Verrückten wurde sie in einen Lieferwagen verfrachtet und in Begleitung von zwei Krankenschwestern von Hesperia nach Nikkilä gefahren.
    Unterwegs bat eine der Schwestern den Fahrer, im Ort Sipo anzuhalten, denn ihr waren die Zigaretten ausgegangen, und sie wollte neue kaufen.
    Frau Moisander und einer der anderen beiden Idioten machten sich die Situation zunutze. Als das Auto vor dem Kiosk anhielt, sprangen beide hinaus und liefen in den Wald davon. Sie galoppierten wie die Verrückten, so daß sie nicht eingefangen werden konnten. Weil im Auto noch ein Patient übrig war, wurde der zuerst nach Nikkilä gebracht. Erst dann machte man sich auf die Suche nach Frau Moisander und ihrem geistesschwachen Begleiter. Doch es war schon zu spät, denn die beiden stapften bereits irgendwo zwischen Nikinmäki und Korso, weit entfernt von Sipo, durch das Gelände. Sie gingen in westliche Richtung, denn ihr verrückter Plan bestand darin, nach Pentele zu gelangen, in das Gemütskurhaus Ronkaila, von dem sie in Hesperia schon soviel gehört hatten.
    Die zwei unglücklichen Flüchtlingen wanderten durch das mittlere Uusimaa, von Korso über Lahnus, Röylä und Nuuksio nach Suntio. Drei Tage später schleppten sie sich auf den Ronkaila-Hof und waren so erschöpft, daß man sie ins Bett tragen mußte.
    Am nächsten Tag heilte Rutja sowohl Frau Moisander als auch deren Leidensgenossen. Die Behandlung der ehemaligen Alleinerziehenden erforderte mehrere wichtige Beschwörungsformeln und zwei Kugelblitzanwendungen, bevor ihre Vernunft wieder zurückkehrte und ihr Geist sich aufhellte. Zum Glück war sie nicht ganz die alte geworden, vielmehr war sie in ihren Gedanken aufgeschlossener als zuvor. Mit Freuden machte sie ihren Frieden mit Rutja und Sampsa, und so konnte Steuerprüferin Suvaskorpi sie als Mitarbeiterin einstellen. Frau Moisander erhielt die Aufgabe, die Erdgeister bei der Arbeit zu beaufsichtigen. Dazu war sie von ihrem Charakter her bestens geeignet. Die Gnome waren im Grund gehorsam, und wenn Frau Moisander auch wesentlich gutmütiger geworden war, so genoß sie es doch, ihre kleinen, pelzigen Gehilfen herumzukommandieren. Pfarrherr Salonen brachte ihr Rutjas sechs Gebote näher und ging mit ihr in vielen langen Gesprächen deren Bedeutung durch. Frau Moisander begann nun, ihre Zukunft als Ukko Obergotts Priesterin zu planen. Pfarrherr Salonen sah keinen Hinderungsgrund, wenn sie nur fest nach dem neualten Glauben lebte und ihre neue ethische Lebenshaltung weiter verfestigte.
    Im Laufe des Herbstes verloren die üblichen Bingo- und Sambaabende in Finnland allmählich an Beliebtheit. An ihre Stelle traten Opferfeste, die zu Ehren Ukko Obergotts von den Anhängern des neualten Glaubens überall im Land veranstaltet wurden. In der Presse tauchten nun unter der Rubrik »Geistliche Mitteilungen« Anzeigen mit den entsprechenden Einladungen auf. In Savonlinna, Keuru, Oulu, Kemijärvi, Vaasa und auf den Åland-Inseln wurden Kultstätten zu Ehren des Donnergottes eingeweiht. Ein Dutzend Kultbäume tauchten an den verschiedensten Stellen des Landes auf. Die Messermanufaktur von Kaija Aarikka fing an, aus astlosen Kiefern gedrechselte, halbmetergroße Kultfiguren herzustellen, die sofort
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