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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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ich möchte sie nicht missen. Ohne diese Gabe hätte ich dich nicht zurückbringen können.«
    Er antwortete nicht, und das Schweigen dauerte so lange, dass ich begann, mir Sorgen zu machen.
    »Bran?«, fragte ich leise.
    »Ich frage mich«, sagte er zögernd, »ich frage mich, ob du … ob du das vielleicht bedauert hast. Mich zu retten, meine ich. Jetzt, wo du gesehen hast … jetzt, wo du diese Dinge von mir weißt, Dinge, die ich nie jemandem erzählt habe … ich bin nicht der Mann, für den du mich einmal gehalten hast. Ich dachte vielleicht …« Die Worte gingen ihm aus.
    »Warum?« Er hatte mich verblüfft. »Warum sollte ich so etwas denken? Warum sollte ich dich jetzt nicht mehr wollen oder dich weniger lieben? Ich habe dir gesagt, du bist der einzige Mann auf der Welt, den ich an meiner Seite haben will. Nichts wird das je verändern. Und das kann ich nicht noch deutlicher sagen.«
    »Dann …« Er hielt wieder inne.
    »Dann was, mein Herz?«
    »Warum hast du …« Er sprach so leise, dass ich mich anstrengen musste, es zu hören. »Warum hast du mein Bett gemieden, wenn man von dieser einen Nacht einmal absah, dieser längsten aller Nächte, als ich erwachte und dich neben mir fand, ein so kostbares Geschenk, dass es ein ganzes Leben voller Schatten wegwischte? Ich sehne mich danach, diesen Augenblick wieder zu spüren und dich festzuhalten und dich zu berühren und … ich weiß nicht die rechten Worte für diese Dinge, Liadan.«
    Vielleicht war es ganz gut, dass es dunkel war. Ich lachte und weinte gleichzeitig, und ich wusste kaum, was ich ihm sagen sollte.
    »Wenn ich nicht das Kind hielte«, sagte ich ein wenig zittrig, »würde ich dir sofort zeigen, wie sich mein Körper nach dir sehnt. Es kommt mir so vor, als hättest du ein schlechtes Gedächtnis. Ich erinnere mich an einen Nachmittag am See von Sevenwaters, wo nur die Einmischung unseres Sohnes dafür sorgte, dass wir wieder zur Vernunft kamen, und was diese letzten Tage angeht, ich wollte nur deine Gesundheit schonen. Du hast schwere Prüfungen hinter dir. Sie haben ihre Spuren an Körper und Geist hinterlassen. Ich wollte nicht mehr … nicht mehr verlangen, als du …«
    Ich spürte einen wütenden, ungläubigen Blick im Dunkeln.
    »Du hast geglaubt, ich könnte nicht? War es das?«
    »Ich … nun, ich … ich bin immerhin Heilerin, und es entspricht nur dem gesunden Menschenverstand …«
    Er hielt mich mit einem Kuss auf, einem festen, deutlichen Kuss. Er war kürzer, als mir lieb gewesen wäre; Johnny war zwischen uns und in Gefahr, zerquetscht zu werden.
    »Liadan?«
    »Mhm?«
    »Willst du heute Nacht das Bett mit mir teilen?«
    Ich spürte, wie ich rot wurde. »Sehr wahrscheinlich«, sagte ich.
    ***
    Ich denke, die Göttin hat uns gesegnet. Jemand wachte in dieser Nacht über uns, denn Johnny schlief ein und wachte bis zum Morgen nicht mehr auf, und die anderen verschwanden irgendwie, hielten Wache, und wir hörten von allen dreien nicht ein einziges Flüstern. Was mich und meinen Mann anging, wir lagen im Schutz der Steine und zeigten nicht mehr Zurückhaltung als an jenem Nachmittag am See, denn es war lange her. Wir umklammerten einander und keuchten und weinten in unserem Begehren füreinander, bis wir schließlich erschöpft einschliefen, unter einer Decke und der großen Sternenkuppel. In der Morgendämmerung erwachten wir aus süßem Schlaf, und keiner von uns regte sich, außer um den anderen sanft zu berühren, mit den Lippen über die Haut zu streifen und leise Worte zu flüstern, bis wir hörten, dass Ratte sich am Feuer zu schaffen machte und Möwe etwas von Aufbruch erwähnte.
    »Es wird andere Morgen geben«, sagte ich leise.
    »Ich glaube nicht, dass ich das bis jetzt wirklich geglaubt habe.« Bran erhob sich widerstrebend und zog die schlichte Reisekleidung an, die er bevorzugte. Ich beobachtete ihn dabei schamlos und staunte darüber, welches Glück ich hatte.
    »Wir müssen es einfach glauben«, sagte ich, und in diesem Augenblick wurde Johnny wach und begann, nach seinem Frühstück zu schreien. »Wir müssen an eine Zukunft glauben, für ihn, für diese Männer und für uns selbst. Liebe ist sicherlich stark genug, um darauf eine Zukunft zu bauen.« Ich glaube, ich sprach diese Sätze mehr zum Feenvolk als zu uns. Sie ließen sich allerdings nicht anmerken, ob sie mich gehört hatten. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Ich hatte den Lauf der Dinge verändert. Wenn das bedeutete, dass ich nie mehr
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