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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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zurückkehren.
    Geht jetzt. Geht.
    Die Stimmen klangen träge und tief wie immer, aber diesmal enthielten die Worte eine Warnung.
    Jetzt? Ihr meint  … jetzt sofort? Aber warum?
    Es war vielleicht dumm von mir zu fragen. Einen Augenblick später hatte mich der Blick überwältigt, und ich sah einen jungen Krieger, der kämpfte, und ich dachte, es wäre Bran, bis ich entdeckte, dass seine Züge kein Muster hatten, außer Andeutungen einer Rabenmaske an der Stirn und ums Auge. Er war verletzt; ich sah, wie bleich er war, und hörte seinen rasselnden Atem. Er griff an, und mit einer glatten Bewegung schlug ihm sein Gegner sein Schwert aus der Hand, und ich sah in den Augen des jungen Kriegers, dass er erkannt hatte, dass er dem Tod gegenüberstand. Seine Augen waren grau, sein Blick fest, seine Miene furchtlos. Ich schlang die Arme fest um das Kind auf meinem Schoß, und Johnny quietschte widerwillig. Die Vision veränderte sich, und ich sah ein Mädchen, ein weinendes Mädchen, ihr ganzer Körper von Schluchzen geschüttelt, beide Hände in einem vergeblichen Versuch, den Kummer zu bannen, vors Gesicht geschlagen. Ihr lockiges Haar war von einem tiefen Rot, ihre Haut so hell wie frische Milch. Während sie ihren Kummer herausweinte, erhob sich Feuer um sie, die knisternden Flammen hungrig und verzehrend, und ich hatte das seltsame Gefühl, dass es ihr Weinen war, das dieses Feuer zu noch größerer Wut aufpeitschte. Dann war die Vision abrupt verschwunden. Geht jetzt, sagte die Stimme noch einmal, und dann schwieg sie.
    Eine solche Warnung durfte man nicht missachten. Ich ging zu Bran und sagte es ihm, nicht alles, was ich gesehen hatte, aber dass der Blick mir gezeigt hatte, dass wir sofort gehen mussten. Sie waren gut eingespielt. Bevor die Sonne im Westen unterging, waren wir unterwegs, ritten in drei verschiedene Richtungen. Meine eigene Gruppe zog nach Norden, auf verborgenen Wegen. Wir legten eine Rast ein, als es dunkel wurde, denn Bran bestand darauf, dass das Kind und ich schlafen mussten. Wir lagerten unter Felsen, ein Stück einen Hügel hinauf. Ich stillte Johnny; Bran und Wolf hielten Wache; Ratte machte ein kleines Feuer und bereitete das Essen vor. Möwe kümmerte sich um die Pferde, denn er bestand darauf, seinen Teil der Arbeit zu erledigen, verletzte Hände oder nicht.
    Nach einer Weile kam Bran den Hügel hinauf und hockte sich zu mir. Johnny war fertig mit Trinken; ich hielt ihn an meiner Schulter, und er schlief ein.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich leise, »deine Pläne derart durcheinander gebracht zu haben. Wir hätten vielleicht noch einen weiteren Tag bleiben können. Der Blick zeigt nicht immer die Wahrheit, und diese Stimmen können irreführend sein.«
    »Vielleicht auch nicht«, sagte Bran in seltsamem Ton. »Komm hier heraus, ich will dir etwas zeigen.«
    Ich folgte ihm zu einer Stelle auf den Felsen, wo man weit zurück nach Süden schauen konnte. Bei Tageslicht würde man vermutlich den großen Wald von Sevenwaters selbst sehen können. Nun war es vollkommen dunkel. Vollkommen, bis auf eine bestimmte Stelle, nicht so weit hinter uns, wo ein gewaltiges Feuer tobte.
    »Seltsam, oder?«, stellte Bran fest. »Vielleicht ein Blitzschlag? Aber der Himmel ist klar, und es gibt keine Spur eines Unwetters. Und es hat geregnet; Bäume und Büsche und selbst das Gras brennen nicht auf diese Weise, mit so verschlingender Hitze, außer in Zeiten großer Trockenheit. Siehst du, wie das Feuer sich bewegt und alles auf seinem Weg verzehrt? Aber die Nacht ist ruhig. Sehr seltsam.«
    »Nicht wahr?«, flüsterte ich schaudernd. »Ist das der Ort, an dem wir unser Lager hatten?«
    Bran legte vorsichtig den Arm um mich, als müsse er immer noch lernen, was er sich zugestehen konnte.
    »Ohne dich wären wir heute Nacht im Weg dieses Feuers gewesen«, sagte er. »Deine Gabe ist sehr mächtig. Du hast einmal meinen Tod vorhergesehen. Erinnerst du dich daran?«
    »Ja.«
    »Es scheint, dass du das verhindert hast, dass du den Tod zurückgehalten hast. Du hast den Lauf der Ereignisse verändert. Ich bin nicht leicht zu erschrecken, Liadan. Ich habe mich dazu erzogen, mich allem zu stellen, was auf mich zukommt. Aber das hier macht mir Angst.«
    »Mir auch. Es macht mich offen für … für viele Einflüsse, für Stimmen, die ich lieber nicht hören würde, für widersprüchliche Visionen. Es kann sehr schwierig sein herauszufinden, wann ich sie beachten und wann ich meinen eigenen Weg gehen sollte. Und dennoch,
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