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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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vielleicht doch nötig, und daher solltest du dafür sorgen, dass der Dolch stets scharf und glänzend ist, und viel üben.«
    Es kam mir so vor, als fiele ein Schatten über sein Gesicht, und sein Blick wurde leer, wie es manchmal geschah. Ich nickte schweigend und steckte die kleine, tödliche Waffe weg.
    Solche Dinge lernte ich von meinem Vater, den die Leute Iubdan nannten, obwohl sein wirklicher Name anders lautete. Wenn man die alten Geschichten kannte, wusste man, dass dieser Name ein Scherz war, den er gut gelaunt akzeptierte. Denn der Iubdan der Geschichten war so winzig, dass er schreckliche Probleme bekam, als er in eine Schale Haferbrei fiel, obwohl er später belohnt wurde. Mein Vater hingegen war sehr groß und kräftig gebaut, und sein Haar hatte die Farbe von Herbstblättern in der Nachmittagssonne. Er war ein Brite, aber die Leute neigten dazu, das zu vergessen. Als er seinen neuen Namen erhielt, wurde er ein Teil von Sevenwaters, und jene, die diesen Namen nicht benutzten, riefen ihn einfach Großer.
    Ich wäre selbst gerne ein bisschen größer gewesen, aber ich war klein, dünn und dunkelhaarig – die Art Mädchen, die kein Mann zweimal ansah. Nicht, dass mir das etwas ausmachte. Ich hatte genug zu tun, ohne an so etwas denken zu müssen. Es war Niamh, der sie mit Blicken folgten, denn sie war hoch gewachsen und breitschultrig, unserem Vater viel ähnlicher, und sie hatte langes, helles Haar und einen Körper, der an den richtigen Stellen über die richtigen Rundungen verfügte. Ohne es auch nur zu wissen, bewegte sie sich auf eine Art, die die Blicke der Männer anzog.
    »Die da wird noch viel Ärger machen«, murmelte unsere Köchin Janis über ihren Töpfen und Pfannen. Was Niamh selbst anging, war sie eher kritisch mit sich selbst.
    »Ist es nicht schon schlimm genug, halb britisch zu sein«, meinte sie verärgert, »ohne auch noch danach auszusehen? Sieh dir das nur an!« Sie zog an ihrem dicken Zopf, und die rotgoldenen Strähnen lösten sich zu einem schimmernden Vorhang. »Wer würde mich für eine Tochter von Sevenwaters halten? Mit diesem Haar könnte ich eine Sächsin sein! Warum kann ich nicht zierlich und anmutig sein wie Mutter?«
    Ich sah sie einen Augenblick lang an, während sie kräftige Striche mit der Haarbürste ausführte. Für eine, die so unzufrieden mit ihrem Aussehen war, verbrachte sie relativ viel Zeit damit, neue Frisuren auszuprobieren und Kleider und Bänder zu wechseln.
    »Schämst du dich, die Tochter eines Briten zu sein?«, fragte ich sie.
    Sie sah mich wütend an. »Das ist typisch für dich, Liadan. Immer so direkt wie möglich, wie? Für dich ist das alles kein Problem, du bist eine Kopie von Mutter, ihre kleine rechte Hand. Kein Wunder, dass Vater dich so abgöttisch liebt! Für dich ist es einfach.«
    Ich ließ ihre Worte über mich hinwegrauschen. Manchmal war es, als hätte sie zu viele Gefühle in sich, die einfach aus ihr herausbrechen mussten. Die Worte selbst bedeuteten nichts. Ich wartete.
    Niamh benutzte ihre Haarbürste wie zur Strafe. »Und Sean ebenfalls«, sagte sie und starrte sich wütend in dem Spiegel aus polierter Bronze an. »Hast du gehört, wie Vater ihn genannt hat? Er sagte, er sei der Sohn, den Liam nie hatte. Was hältst du davon? Sean passt hierher, er kennt seinen zukünftigen Weg genau. Er ist der Erbe von Sevenwaters, geliebter Sohn von nicht nur einem, sondern gleich zwei Vätern – und er sieht auch so aus. Er wird genau das Richtige tun: Aisling heiraten, was alle glücklich machen wird, und ein großer Anführer werden, vielleicht sogar derjenige, der uns die Inseln zurückgewinnt. Seine Kinder werden in seine Fußstapfen treten und so weiter und so weiter. Brighid, steh uns bei, es ist so langweilig! Es ist so vorhersehbar.«
    »Du kannst nicht beides haben«, sagte ich. »Entweder du passt hierher oder nicht. Außerdem sind wir die Töchter von Sevenwaters, ob es dir nun gefällt oder nicht. Ich bin sicher, dass Eamonn dich gerne heiraten wird, wenn es an der Zeit ist, goldenes Haar oder nicht. Ich habe zumindest noch keinen Widerspruch von ihm gehört.«
    »Eamonn? Ach, der!« Sie stellte sich in die Mitte des Zimmers, wo ein goldener Lichtstrahl auf die Eichendielen fiel, und an diesem Fleck begann sie, sich langsam zu drehen, so dass ihr weißes Gewand und ihr schimmerndes Haar sie wie eine Wolke umgaben. »Sehnst du dich nicht auch danach, dass etwas geschieht, etwas so Aufregendes, Neues, dass es dich wie eine
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