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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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große Flut mit sich reißt – etwas, das dein Leben aufflackern und brennen lässt, so dass die ganze Welt es sehen kann? Etwas, das dich mit Freude oder mit Schrecken erfüllt und das dich weit weg von diesem sicheren kleinen Pfad auf eine große, wilde Straße führt, deren Ende niemand kennt? Sehnst du dich nie nach so etwas, Liadan?« Sie drehte und drehte sich und hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen, als wäre dies die einzige Möglichkeit, ihre Gefühle in sich zu behalten.
    Ich saß auf der Bettkante und beobachtete sie schweigend. Nach einer Weile sagte ich: »Du solltest vorsichtig sein. Solche Worte könnten das Feenvolk in Versuchung führen, sich in dein Leben einzumischen. Es geschieht hier und da. Du kennst Mutters Geschichte. Man hat ihr eine solche Gelegenheit gegeben, und sie hat sie genutzt, und am Ende hat nur ihr eigener und Vaters Mut sie vor dem Tod gerettet. Um die Spiele des Feenvolks zu überleben, muss man sehr stark sein. Für Mutter und für Vater gab es ein gutes Ende. Aber es gab auch Verlierer in dieser Geschichte. Was ist mit ihren sechs Brüdern? Nur zwei oder vielleicht drei sind geblieben. Was geschehen ist, hat ihnen allen Schaden zugefügt. Und es gab andere, die noch schlimmer dran waren. Du solltest dein Leben lieber Tag für Tag genießen. Für mich liegt genug Aufregung darin, bei der Geburt eines Lamms zu helfen oder zu sehen, wie die Eichenschösslinge im Frühlingsregen wachsen. Oder darin, mit einem Pfeil direkt ins Ziel zu treffen oder den Husten eines Kindes zu heilen. Warum sehnst du dich nach mehr, wenn das, was wir haben, so gut ist?«
    Niamh fuhr sich mit der Hand durchs Haar und zerstörte damit das Ergebnis des langwierigen Bürstens mit einer einzigen achtlosen Bewegung. Sie seufzte. »Du klingst so sehr wie Vater, dass mir davon schlecht wird«, sagte sie, aber ihr Tonfall war liebevoll. Ich kannte meine Schwester gut. Ich ließ nicht oft zu, dass sie mich durcheinander brachte.
    »Ich habe nie verstanden, wie er das tun konnte«, fuhr sie fort. »Alles einfach aufgeben. Sein Land, seine Macht, seine Stellung, seine Familie. Er hat es einfach aufgegeben. Er wird niemals Herr von Sevenwaters sein – das ist Liams Platz. Sein Sohn wird zweifellos erben, aber Iubdan wird immer nur der Große sein, der in aller Ruhe seine Bäume pflanzt, sich um seine Herden kümmert und die Welt an sich vorbeiziehen lässt. Wie könnte ein echter Mann ein solches Leben wählen? Er ist kein einziges Mal auch nur nach Harrowfield zurückgekehrt.«
    Ich lächelte in mich hinein. War sie denn blind, dass sie nicht erkannte, was zwischen Sorcha und Iubdan war? Wie konnte sie hier jeden Tag leben und sehen, wie sie einander anschauten, und nicht verstehen, warum er getan hatte, was er getan hatte? Außerdem wäre Sevenwaters ohne seine Fürsorge nichts weiter als eine gut bewachte Festung. Unter seiner Führung blühte unser Land. Alle wussten, dass wir das beste Vieh züchteten und die beste Gerste in ganz Ulster anbauten. Es war die Arbeit meines Vaters, die es meinem Onkel Liam ermöglicht hatte, bessere Verbündete zu finden und in den Krieg zu ziehen. Aber es hatte wohl wenig Sinn, das meiner Schwester zu erklären. Wenn sie es immer noch nicht wusste, würde sie es nie begreifen.
    »Er liebt sie«, sagte ich. »So einfach ist das. Und dennoch gibt es noch mehr. Sie spricht nicht davon, aber es hat mit dem Feenvolk zu tun. Und sie werden sie nicht aus den Augen verlieren.«
    Endlich war Niamh aufmerksam geworden. Sie kniff ihre schönen blauen Augen ein wenig zusammen, als sie mich ansah. »Jetzt klingst du schon genau wie sie«, verkündete sie anklagend. »Als wolltest du eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, aus der ich etwas lernen soll.«
    »Nein«, sagte ich. »Du bist ohnehin nicht in der Stimmung dafür. Ich wollte nur sagen, dass wir eben anders sind, du und ich und Sean. Wegen Dingen, die das Feenvolk getan hat, sind unsere Eltern einander begegnet und haben geheiratet. Und deshalb existieren wir drei. Vielleicht dreht sich der nächste Teil der Geschichte ja um uns.«
    Niamh schauderte, als sie sich neben mich hockte und die Röcke über die Knie zog.
    »Weil wir weder aus Britannien noch aus Erin stammen und gleichzeitig aus beiden Ländern«, sagte sie bedächtig. »Du glaubst, eine von uns sei das Kind der Prophezeiung, das unserem Volk die Inseln zurückgeben wird?«
    »Ich habe gehört, dass Leute das sagten.« Man hörte es tatsächlich relativ
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