Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
Hände zu einer guten Ernte und einer fruchtbaren Jahreszeit führen. Wir danken der Erde, die unsere Mutter ist, für den Regen, der Leben bringt. Wir ehren den Wind, der die Samen aus den großen Eichen schüttelt, wir ehren die Sonne, die die neuen Pflanzen wärmt. In all dem ehren wir dich, Brighid, die du die Frühlingsfeuer entzündest.«
    Der Kreis der Druiden wiederholte seinen letzten Satz mit tiefen, wohlklingenden Stimmen. Dann kehrte Conor zu seinem Bruder zurück und reichte ihm den Kelch, und Liam sagte etwas darüber, den Rest dessen, was noch in der Flasche war, nach dem Essen zu teilen. Die Zeremonie war beinahe vorüber.
    Conor drehte sich um und ging einen, zwei, drei Schritte vorwärts. Er streckte die rechte Hand aus. Ein hoch gewachsener junger Schüler mit Locken vom tiefsten Rot, das ich je gesehen hatte, kam rasch vorwärts und nahm den Stock seines Meisters. Er trat beiseite und betrachtete Conor mit einem Blick, dessen Intensität mich schaudern ließ. Conor hob die Hände.
    »Neues Leben! Neues Licht! Neues Feuer!«, sagte er, und nun war seine Stimme nicht mehr leise, sondern mächtig und klar und schallte durch den Wald wie eine feierliche Glocke. »Neues Feuer!«
    Er hob die Hände über den Kopf, griff zum Himmel hinauf. Ein Schimmern war zu sehen, ein seltsames Summen erklang, und plötzlich wurde es über seinen Händen hell, ein Strahlen, das die Augen blendete und die Sinne erschreckte. Der Druide senkte langsam die Arme, und in seinen zu einer Schale gebogenen Händen flackerte ein Feuer, ein so echtes Feuer, dass ich entsetzt erwartete, dass Conors Hände von der Hitze verbrennen würden. Der junge Schüler ging zu ihm, eine Fackel in der Hand. Unter unseren gebannten Blicken berührte Conor diese Fackel mit den Fingern, und goldenes Licht flackerte auf, und als Conor die Hände wegzog, waren es einfach die Hände eines Menschen, und das geheimnisvolle Feuer war aus ihnen verschwunden. Das Gesicht des jungen Mannes strahlte vor Stolz und Ehrfurcht, als er seine kostbare Fackel zum Haus trug, wo nun die Herdfeuer neu entzündet würden. Die Zeremonie war vollendet. Morgen würde die Arbeit der neuen Jahreszeit beginnen. Auf dem Rückweg zum Haus, wo es nach Sonnenuntergang ein Festessen geben würde, schnappte ich Gesprächsfetzen auf.
    »… wirklich klug? Es gab doch sicher auch andere, die man für diese Aufgabe hätte auswählen können?«
    »Es war Zeit. Er kann nicht immer im Verborgenen leben.«
    Das waren Liam und sein Bruder. Dann sah ich meine Mutter und meinen Vater, die gemeinsam den Weg entlang kamen. Sie stolperte im Schlamm; er stützte sie sofort, beinahe noch bevor es geschehen war, so schnell war er. Er legte ihr den Arm um die Schultern, und sie blickte zu ihm auf. Ich spürte einen Schatten über den beiden und wurde plötzlich unruhig. Sean lief grinsend an mir vorbei, dicht gefolgt von Aisling. Sie folgten dem hoch gewachsenen jungen Mann, der die Fackel trug. Mein Bruder sagte nichts, aber ich fing in meinem Geist auf, wie glücklich er war. Heute Abend war er einfach nur sechzehn Jahre alt und verliebt, und alles in seiner Welt war in Ordnung. Und wieder spürte ich diese plötzliche Kälte. Was war nur los mit mir? Es war, als wünschte ich meiner Familie an diesem schönen Frühlingstag, an dem alles hell und stark war, Böses. Ich mahnte mich, nicht so dumm zu sein. Aber der Schatten wollte nicht weichen und lauerte weiterhin am Rand meiner Gedanken.
    Du spürst es also auch.
    Ich erstarrte. Es gab nur einen einzigen Menschen, der auf diese Weise – ohne Worte – zu mir sprechen konnte, und das war Sean. Aber es war nicht die innere Stimme meines Bruders, die jetzt meinen Geist berührte.
    Hab keine Angst, Liadan. Ich werde nicht in deine Gedanken eindringen. Wenn ich in all den langen Jahren eines gelernt habe, dann ist es, diese Fähigkeit zu beherrschen. Du bist unglücklich. Unruhig. Was geschieht, wird nicht dein Werk sein. Das darfst du nicht vergessen. Wir wählen alle unseren Weg selbst.
    Immer noch ging ich weiter auf das Haus zu, umgeben von einer lachenden, schwatzenden Menschenmenge, jungen Männern, die ihre Sensen über den Schultern trugen, jungen Frauen mit Spaten oder Sicheln. Hier und da fanden sich zwei, und das eine oder andere Paar verschwand unauffällig im Wald, um dort eigenen Angelegenheiten nachzugehen. Vor mir auf dem Weg ging mein Onkel, und der goldene Saum seines Gewandes blitzte in den letzten Strahlen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher