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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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zweifellos Teil der Disziplin, die sie lernten. Und es ging mich nichts an. Dann schaute ich wieder meine Schwester an, und ich bemerkte den Blick, mit dem sie ihn unter ihren langen, wunderschönen Wimpern her bedachte. Tanz mit Eamonn, du dumme Gans, sagte ich ihr, aber sie war nie im Stande gewesen, meine innere Stimme zu hören.
    Die Musik wechselte von einem Kreistanz zu einer langen, anmutig klagenden Melodie. Es gab Worte dazu, und die Menge hatte inzwischen genug getrunken, um mit dem Flötenspieler zu singen.
    »Würdest du mit mir tanzen, Liadan?«
    »Oh.« Eamonn hatte mich erschreckt, als er da plötzlich neben mir aus dem Dunkel auftauchte. Im Feuerlicht war sein Gesicht so ernst und gefasst wie immer. Er sah nicht gerade danach aus, als ob ihm das Fest gefiel. Und jetzt, als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich ihn bisher noch nicht auf der Tanzfläche gesehen hatte.
    »Oh. Wenn du – aber vielleicht solltest du meine Schwester bitten. Sie tanzt viel besser als ich.« Das klang seltsam, beinahe unhöflich. Wir schauten beide über das Meer der Tanzenden hinaus, dorthin, wo Niamh lächelnd stand, umgeben von Bewunderern, und sich mit der Hand durchs Haar fuhr. Eine hoch gewachsene, goldene Gestalt aus flackerndem Licht.
    »Ich habe aber dich gebeten.« Keine Spur von Lächeln lag auf Eamonns Zügen. Ich war froh, dass er nicht im Stande war, meine Gedanken zu lesen, wie mein Onkel Conor es konnte. Früher an diesem Abend war ich rasch genug der Ansicht gewesen, ihn zu kennen. Nun brannten mir die Wangen, als ich daran dachte. Ich erinnerte mich daran, dass ich eine Tochter von Sevenwaters war und mich höflich verhalten musste. Ich stand auf, wollte mein Schultertuch liegen lassen, und Eamonn überraschte mich, indem er es mir abnahm und es ordentlich faltete, bevor er es auf einen Tisch legte. Dann nahm er meine Hand und führte mich in den Kreis der Tänzer.
    Es war ein langsamer Tanz, bei dem sich Paare begegneten und wieder trennten, Rücken an Rücken im Kreis tanzten, sich an den Händen fassten und wieder gehen ließen. Ein Tanz, der gut zum Fest der Brighid passte, bei dem es immerhin um das neue Leben und das Tosen des Bluts geht, das ihm Gestalt verleiht. Ich konnte sehen, wie sich Sean und Aisling in vollendetem Schritt umeinander bewegten, als teilten die beiden dieselben Atemzüge. Das Staunen in ihren Augen bewirkte, dass mir beinahe das Herz stehen blieb. Ich merkte, wie ich lautlos sagte: Macht, dass es ihnen erhalten bleibt. Bitte, nehmt es ihnen nicht. Aber zu wem ich das sagte, wusste ich nicht.
    »Was ist denn, Liadan?« Eamonn hatte die Veränderung in meinem Blick bemerkt, als er wieder auf mich zukam. Er nahm meine rechte Hand und drehte mich unter seinem Arm hindurch. »Was ist los?«
    »Nichts«, log ich. »Nichts. Ich bin wohl müde, das ist alles. Wir waren schon früh auf, haben Blumen gepflückt, das Festessen vorbereitet, all diese Dinge.«
    Er nickte anerkennend.
    »Liadan …« Er setzte dazu an, etwas zu sagen, wurde aber von einem überschäumenden Paar gestört, das drohte mit uns zusammenzustoßen, als es wild vorbeiwirbelte. Geschickt zog mein Partner mich aus dem Weg, und einen Augenblick lang hatte er beide Arme um meine Taille gelegt, und mein Gesicht war dicht an seinem.
    »Liadan. Ich muss mit dir sprechen. Ich muss dir etwas sagen.«
    Der Augenblick war vorüber; die Musik spielte weiter, und Eamonn ließ mich los, als wir wieder in den Kreis gezogen wurden.
    »Dann rede doch«, meinte ich eher ungnädig. Ich konnte Niamh nirgendwo mehr sehen; sie hatte sich doch sicher noch nicht so früh zurückgezogen. »Was wolltest du sagen?«
    Er schwieg einige Zeit. Wir erreichten den Anfang der Reihe; er legte eine Hand an meine Taille, ich eine auf seine Schulter, und wir führten ein paar Drehungen durch, während wir unter einem Bogen ausgestreckter Arme ans andere Ende tanzten. Dann schien es plötzlich, als hätte Eamonn genug vom Tanzen. Er hielt meine Hand fest und zog mich an den Rand des Kreises.
    »Nicht hier«, sagte er. »Das hier ist nicht die richtige Zeit und nicht der richtige Ort. Morgen. Ich möchte mit dir allein sprechen.«
    »Aber …«
    Ich spürte kurz seine Hände auf meinen Schultern, als er mir den Schal wieder umlegte. Er war sehr nah. Etwas in mir gab eine Art Warnung von sich, aber ich begriff es immer noch nicht.
    »Morgen Früh«, sagte er. »Du arbeitest doch früh im Garten, nicht wahr? Ich werde dorthin kommen. Ich danke
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