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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten
Autoren: Juliet Marillier
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oft, nun, da Sean beinahe ein Mann war und zu einem ebenso guten Kämpfer und Anführer heranwuchs, wie sein Onkel Liam es war. Außerdem warteten die Menschen nur darauf, dass endlich etwas geschah. Die Fehde um die Inseln bestand schon seit vor den Tagen meiner Mutter, denn es war lange Jahre her, dass die Briten unserem Volk diesen geheimsten aller Orte genommen hatten. Die Menschen waren inzwischen noch verbitterter, denn wir waren so nah daran gewesen, das wiederzuerhalten, was uns gehörte. Als Sean und ich noch Kinder waren, nicht einmal sechs Jahre alt, hatten unser Onkel Liam und zwei seiner Brüder, unterstützt von Seamus Rotbart, ihre Krieger zusammengerufen und direkt ins Herz des umstrittenen Gebiets geführt. Sie hatten es beinahe geschafft. Sie hatten den Boden der Kleinen Insel berührt und dort insgeheim ihr Lager aufgeschlagen. Sie hatten gesehen, wie die großen Vögel um die Nadel herumflatterten, diesen hoch aufragenden Felsen, der von eisigem Wind und Gischt gepeitscht wurde. Schließlich hatten sie das Lager der Briten auf der größeren Insel angegriffen und waren am Ende zurückgeschlagen worden. In diesem Kampf waren zwei Brüder meiner Mutter umgekommen. Cormack war von einem Schwertstoß direkt ins Herz getroffen worden und in Liams Armen gestorben. Und Diarmid, der versucht hatte, seinen Bruder zu rächen, kämpfte wie ein Besessener und wurde schließlich von den Briten gefangen genommen. Liams Männer fanden seine Leiche später an einer seichten Stelle treibend, als sie erschöpft und geschlagen ihre kleinen Boote zur Flucht rüsteten. Diarmid war ertrunken, aber erst, nachdem der Feind seinen Spaß mit ihm gehabt hatte. Nachdem sie seine Leiche nach Hause gebracht hatten, ließen sie nicht zu, dass meine Mutter sie sah.
    Diese Briten waren das Volk meines Vaters. Aber Iubdan hatte keinen Anteil an diesem Krieg. Er hatte einmal geschworen, dass er nicht gegen sein eigenes Volk kämpfen würde, und er hielt sich an sein Wort. Mit Sean war es etwas anderes. Mein Onkel Liam hatte nie geheiratet, und meine Mutter sagte, er würde es auch niemals tun. Es hatte einmal ein Mädchen gegeben, das er geliebt hatte. Aber dann waren er und seine Brüder verzaubert worden. Drei Jahre sind eine lange Zeit, wenn man erst sechzehn ist. Als er schließlich wieder die Gestalt eines Menschen annahm, war seine Liebste verheiratet und bereits Mutter eines Sohnes. Sie hatte Liam für tot gehalten und getan, was ihr Vater von ihr verlangte. Also würde Liam nicht heiraten. Und er brauchte auch keinen eigenen Sohn, denn er liebte seinen Neffen so leidenschaftlich wie ein Vater und erzog ihn, ohne es zu wissen, zu seinem eigenen Abbild. Sean und ich waren Zwillinge, er ein winziges bisschen älter. Aber mit sechzehn war er bereits mehr als einen Kopf größer als ich, beinahe ein erwachsener Mann, mit breiten Schultern, schlank und muskulös. Liam hatte dafür gesorgt, dass er ein meisterhafter Kämpfer wurde. Sean lernte auch, wie man Kriege plante, wie man zu Gericht saß und wie man sowohl das Denken eines Verbündeten als auch das eines Feindes verstand. Liam machte hier und da eine tadelnde Bemerkung über das jugendliche Ungestüm seines Neffen, aber Sean würde einmal ein großer Anführer sein, daran zweifelte niemand.
    Was unseren Vater anging … er lächelte und ließ es zu. Er erkannte die Last des Erbes, die Sean eines Tages aufgebürdet würde, aber er beanspruchte seinen Sohn auch selbst. Es gab Zeiten, in denen die beiden über die Felder ritten oder sich die Hütten und Scheunen der Bauernhöfe ansahen, denn Iubdan brachte seinem Sohn bei, sich um sein Volk und sein Land zu kümmern und sie nicht nur vor Feinden zu schützen. Sie unterhielten sich lange und häufig und hatten große Hochachtung voreinander. Nur ich bemerkte manchmal, dass Mutter erst Niamh ansah, dann Sean und dann mich, und ich wusste, was sie beunruhigte. Früher oder später würde das Feenvolk der Ansicht sein, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war – der Zeitpunkt, sich wieder in unser Leben einzumischen, den halb vollendeten Wandteppich aufzuheben und ein paar weitere komplizierte Muster zu weben. Wen würden sie wählen? War einer von uns das Kind der Prophezeiung und würde schließlich Frieden zwischen unserem Volk und den Briten von Northwoods schließen und uns die Inseln mit ihren geheimnisvollen Höhlen und heiligen Bäumen zurückgewinnen? Ich glaubte das eigentlich nicht. Wenn man das Feenvolk kannte,
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