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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion
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Doc Norwood hatte zwar nicht allzu deutlich gezeigt, dass er ihm nicht glaubte, doch als er Ivor dann ins Krankenhaus in Missoula überwies, hatte er ihm psychiatrische Behandlung angeraten.
    Die Idioten.
    Sie alle hatten den Aliens lediglich in die Hände gespielt. Crytor, der Anführer der Schar, die ihn in ihr Mutterschiff teleportiert hatte, lachte wahrscheinlich heute noch über die Erklärung der vertrottelten Erdlinge, dass Alkohol, Dehydration und Halluzinationen die Ursache seiner »Verwirrung«, wie die Ärzte es nannten, gewesen seien.
    Tja, wohin man sah, nur Dummköpfe.
    Sich auf seinen Gehstock stützend, stapfte Ivor den Cross-Creek-Pass hinauf. Seine Wanderstiefel knirschten im Schnee, der Himmel war wie Seide und blau wie das Meer, das er allerdings noch nie gesehen hatte. Aber Flathead Lake hatte er gesehen, und das war ein ziemlich großer See. Das Meer war bestimmt ähnlich, nur viel, viel größer, wenn man den Liveübertragungen von Hochsee-Angelausflügen im Jagd-und-Angeln- TV glauben wollte.
    Schwer atmend schleppte er sich den Pfad hinauf, der sich zwischen vorspringenden schneebedeckten Felsbrocken und uralten Tannen, die bis in den Himmel zu reichen schienen, am Berg hochwand. Er blieb stehen, um Luft zu schnappen, sah, wie sein Atem eine Wolke bildete, und verfluchte die Aliens, die ihn zwangen, den Berg hinaufzukraxeln, obwohl ihm seine Arthritis so zu schaffen machte. Die Schmerzen, davon war er überzeugt, hatten sich durch die Experimente, die sie an ihm ausgeführt hatten, und durch den in seinen Körper eingepflanzten Chip noch verschlimmert.
    »Ich geh ja schon, ich geh ja«, sagte er, als er wieder dieses leichte Stechen in der Schläfe spürte, das ihn aus dem Bett getrieben hatte, noch bevor die Sonne über den Berggipfeln aufgegangen war. Er hatte nicht mal einen Schluck Kaffee getrunken, geschweige denn ein Schlückchen Jim Beam. Crytor, verflucht sei seine orangefarbene Reptilienhaut, war ein schlimmerer Sklaventreiber, als es Lila je gewesen war, Gott hab sie selig. In Erinnerung an seine verstorbene Frau schlug er das Kreuzzeichen über der Brust, obwohl er nicht katholisch war, es nie gewesen war und auch nie sein würde. Es erschien ihm lediglich so, als wäre es hier angemessen.
    Crytor schien es nicht einmal zu stören.
    In einer Gruppe von Tannen entdeckte er Elchspuren und –dung im Schnee und wünschte sich, seine Flinte mitgenommen zu haben, obwohl zurzeit nicht Jagdsaison war. Wer würde das schon mitbekommen?
    Na ja, Crytor eben.
    Nach einer Wegbiegung erhaschte er einen Blick tief nach unten ins Tal.
    Er blieb wie vom Donner gerührt stehen, wäre um ein Haar abgerutscht.
    Sein sechsundsiebzig Jahre altes Herz hätte ihm beinahe den Dienst versagt, als sich seine Augen, scharf wie eh und je, auf eine einzeln stehende Kiefer und eine nackte, an deren Stamm gefesselte Frau hefteten.
    »Heilige Mutter Maria«, flüsterte er und lief den Berg hinunter. Sein Gehstock bohrte sich tief in den Schnee, bis zum gefrorenen Boden hinab, so eilig rannte er.
    Kein Wunder, dass die Aliens ihm das da zeigen wollten.
    Wahrscheinlich hatten sie sie entführt, mit ihr getan, was sie wollten, und sie dann hier in diesem eisigen, abgelegenen Tal zurückgelassen. So waren sie nun mal, die Aliens.
    Er wünschte, er hätte ein Handy, wenngleich er gehört zu haben meinte, dass die Dinger so hoch oben in den Bergen sowieso nicht funktionierten. Zu weit weg von irgendwelchen Funktürmen. Er glitt aus, fing sich jedoch wieder und hastete den vertrauten Weg hinunter. Wahrscheinlich lebte sie noch. War nur durch Betäubung gefügig gemacht worden. Er konnte sie in seine Jacken hüllen, zurücklaufen und Hilfe holen.
    Ivor grub seinen Stock rasch und tief in den Schnee und eilte die Serpentinen hinunter zur Talsohle, wo eine Schneeeule leise in der ansonsten gespenstisch stillen Schlucht schrie.
    »Hey!«, rief er im Laufen, ziemlich außer Atem. »Hey!«
    Doch bevor er die an den Baum gefesselte Frau erreicht hatte, blieb er abrupt stehen und erstarrte.
    Das hier war nicht das Werk von Aliens.
    Hölle, nein, das war es nicht.
    Es war das Werk des Teufels persönlich.
    In seinem faltigen Nacken sträubten sich die Haare. Diese Frau, eine Asiatin, war längst tot. Ihre Haut war bläulich verfärbt, Schnee puderte das dunkle, glänzende Haar, die Augen starrten leblos ins Leere, und gefrorenes Blut bedeckte hier und da ihren Körper. Ihr Mund war geknebelt. Die Seile, die sie an den Baum
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