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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion
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kleine Wölkchen vor ihrem Mund bildete. Was war es nur, das ihn so verflixt verführerisch wirken ließ? Warum konnte sie nie nein sagen und auch dabei bleiben? Was an ihm fand sie denn so sexy? Hatte sie sich nicht immer wieder geschworen, dass sie über ihn hinwegkommen, nicht wieder in seine Falle tappen würde?
    Ja, toll, das hatte viel genützt.
    Wenn er nur nicht so unverschämt gut ausgesehen hätte.
    Sie hatte viele Männer gekannt. Viele gutaussehende Männer. Die meisten mit eisenhartem Körper. Aber dieser hier … dieser war anders.
    Tatsächlich? Ist er nicht nur ein weiterer böser Junge in einer langen Reihe, angefangen mit Chad Wheaton in der achten Klasse? Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Regan, du hast einen grauenhaften Männergeschmack und zum Beweis dafür ausreichend Scheidungsurteile vorliegen.
    Sie blickte in den Spiegel und verzog das Gesicht: rotgeränderte Augen, zerzaustes Haar, verlaufenes Make-up, einen riesigen Knutschfleck seitlich am Hals. Sie sah furchtbar aus. Und ihr blieb keine Zeit mehr, nach Hause zu fahren und ausgiebig zu duschen. Eilig wusch sie sich mit Waschlappen und warmem Wasser. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und wischte die Wimperntusche- und Lippenstiftspuren vom Vortag ab. Dann reinigte sie sich mit dem Lappen in den Achselhöhlen und zwischen ihren Beinen.
    Binnen fünf Minuten war sie fertig. Schlüpfte in die Kleider, strich sie einigermaßen glatt, legte Make-up auf und fasste die Haare zu einem Lockentuff tief im Nacken zusammen. Als sie danach ins abgedunkelte Schlafzimmer zurückkam, hörte sie ihn schon wieder schnarchen.
    »Mistkerl«, knurrte sie, bemüht, ärgerlicher zu wirken, als sie war.
    »Ich hab’s gehört«, kam es gedämpft aus den Kissen.
    »Gut.« Sie schlüpfte in die Stiefel, die sie an der Tür ausgezogen hatte, und schnappte sich ihre Jacke von der Stuhllehne. Dann legte sie das Schulterhalfter an, prüfte nach, ob ihre Waffe gesichert war, und schob ihre Brieftasche mit der Dienstmarke in die Tasche.
    Ohne ein weiteres Wort stieß Detective Regan Pescoli die Moteltür auf und trat hinaus in die bittere Kälte eines neuen Wintermorgens in Montana.
    Was war denn nur los mit ihr?, fragte sie sich auf dem Weg zu ihrem Jeep. Sie schloss die Fahrertür auf und setzte sich hinters Steuer. Ihr Handy klingelte, als sie rückwärts von dem mit Schlaglöchern durchsetzten Parkplatz fuhr, und sie warf einen Blick auf das Display. Zum Glück handelte es sich bei dem Anrufer nicht um ihren Ex-Mann oder um seine widerliche Barbiepuppe von Frau, die wegen der Kinder anrief.
    Aber es waren keine guten Nachrichten. Sie kannte die Handynummer auf dem Display: ihre Partnerin, Selena Alvarez.
    »Pescoli«, meldete sie sich, sah in den Rückspiegel und schaltete auf »Drive«.
    »Wir haben noch eine.«
    Regans Herz setzte einen Schlag aus. Sie wusste, was jetzt kam. Noch eine Leiche, gefunden in den eisigen Felsen und Tälern der Bitterroot Mountains, mit schönen Grüßen von ihrem ureigenen Serienmörder. »Wo?«
    »Wildfire Canyon.« Ganz und gar geschäftsmäßig erklärte sie Pescoli den Weg zum Tatort.
    »Bin in einer halben Stunde da«, sagte sie und beendete das Gespräch. Die Reste der großen Cola light von gestern, wahrscheinlich gefroren, befanden sich noch in dem Becherhalter zwischen den Schalensitzen. Sie überlegte nicht lange, griff nach dem durchweichten Pappbecher, nahm den Strohhalm zwischen die Lippen und trank einen langen Zug von dem schal gewordenen Getränk. Als sie auf die Landstraße bog, kramte sie im Handschuhfach nach den Zigaretten, die sie dort versteckt hielt. Sie rauchte inzwischen nur noch eine Schachtel pro Woche. Das war nicht schlecht angesichts ihrer früheren Gewohnheit, drei Päckchen am Tag zu rauchen. Aber dieser Killer, der Frauen in der Eiseskälte aussetzte und sie dort umkommen ließ, machte all ihre guten Vorsätze zunichte.
    Sie plante, nach Neujahr, in knapp zwei Monaten also, ganz und gar aufzuhören, doch unter dem Druck vonseiten ihres Ex-Manns, ihres Jobs und dieses geisteskranken Idioten, der sich an der Folterung seiner Opfer in der Kälte Montanas aufgeilte, befürchtete sie, dass alle guten Vorsätze und Absichten ins Wanken gerieten.
    Sie schaltete die Sirene und das rotierende Licht ein und trat das Gaspedal durch. Der Mann im Motelzimmer kam ihr kurz noch einmal in den Sinn, doch sie drängte ihn energisch in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins zurück. In den Winkel, den sie meistens eher
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