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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel
Autoren: Leon Morell
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ihnen übersät war.
    Aurelio kniete neben dem Trog, als er den Ersten von ihnen bemerkte. Zwischen seinen Beinen hielt er Trotula eingeklemmt – die Ziege, die sie sich nach dem Einfall der Franzosen von ihrem damals letzten Geld gekauft hatten. Ihr Horn war besonders hell und wuchs schneller als das der anderen, weshalb man ihr häufig die Klauen schneiden musste. Und genau das hatte Aurelio gerade vorgehabt, als er die Söldner am Horizont bemerkte.
    »Mutter!«, rief er. Er war froh, die widerspenstige Trotula bezwungen zu haben, und wollte sie nicht leichtfertig freigeben.
    Antonia trat vor das Haus. Stumm und mit einer tiefen Falte zwischen den Augen blickte sie in die Senke. Den ersten Söldnern folgten weitere. Schon kamen die nächsten über den Hügel. Antonia verschränkte die Arme vor der Brust. Wieder tauchten zwei von ihnen zwischen den Zypressen auf.
    »Komm rein«, sagte Antonia, »beeil dich.« Sie wandte sich um.
    »Aber Trotula …«
    »Sofort!«
    * * *
    Schon einmal hatte Aurelio miterlebt, wie ihr Hof von Söldnern heimgesucht worden war – als der Winter das neue Jahrhundert auf eisigen Händen vor sich hergetragen hatte. 1500. Das Heilige Jahr. Zehn Jahre war Aurelio damals alt gewesen. In Rom hatte Papst Alexander die heiligen Pforten geöffnet. Die Zukunft sollte Großes bereithalten, besser werden. Tommaso hielt nicht viel davon. Er glaubte nicht daran, dass ein Jahr heiliger war als ein anderes. Auch strebte er nicht nach Höherem. Es war so, wie es war. Und so, wie es war, hatte man es zu nehmen.
    In Forlì hatte das Heilige Jahr mit viel Getöse Einzug gehalten. Angekündigt von dem dumpfen Gepolter zahlloser Trommeln und dem tausendfachen Klirren eiserner Rüstungen, war es durch den kalten Morgennebel herangewallt. Der Horizont hatte sich verdüstert, statt sich zu erhellen. Franzosen, Tausende. Ein ganzes Heer hatte Cesare Borgia, der Sohn Alexanders, angeheuert, um Caterina Sforza zur Aufgabe von Forlì zu zwingen.
    Tommaso hatte den Kompanieführer vor der Tür seines Steinhauses empfangen. Antonia saß an der Feuerstelle und hielt Aurelio an sich gedrückt. Das hatte sie lange nicht mehr gemacht. Matteo, der schon siebzehn war, stand am Fenster und blickte durch den Spalt. Aurelio hätte auch gerne durch den Spalt geguckt. Er fand, er war viel zu groß, um noch von seiner Mutter umklammert zu werden.
    »Auf welcher Seite steht Ihr?«, fragte der Söldner in gebrochenem Italienisch.
    »Auf der Seite des Lebens«, entgegnete Tommaso mit fester Stimme.
    Die Antwort schien den Kompanieführer zufriedenzustellen. Er war Söldner. Er stand auf der Seite dessen, der ihn bezahlte. Etwas anderes interessierte ihn nicht. Als sie vier Tage später weiterzogen, waren bis auf die Katze alle Tiere gegessen, die Felder verwüstet, das letzte Korn gemahlen und verspeist. Doch sie hatten Tommaso unbehelligt gelassen und weder Antonia noch Matteo oder Aurelio ein Haar gekrümmt.
    * * *
    Jetzt jedoch versammelten sich die eisenbewährten Krähen in der Senke, und Tommaso war nicht mehr da. Vor drei Monaten, am kürzesten Tag des Jahres, war er gestorben – an einer Krankheit, für die niemand einen Namen gehabt hatte. Seitdem versuchten sie, den Hof alleine zu bewirtschaften. Es ging. Sie würden zurechtkommen, auch ohne Tommaso. So wie es war, hatte man es zu nehmen.
    »Du schnürst ein Bündel mit dem Nötigsten«, befahl Antonia Matteo, »auf der Stelle. Aurelio, du spannst den Ochsen vor den Karren. Ihr verlasst den Hof zur anderen Seite. Giovanna, mach den Kleinen fertig.«
    Matteo blickte aus dem Fenster in die Senke hinunter. »Das sind Soldaten des Papstes, Italiener. Die sind auf dem Weg nach Rom. Warum geben wir ihnen nicht einfach etwas zu essen und lassen sie durchziehen?«
    »Ihr tut, was ich sage«, beharrte Antonia.
    Matteo neigte den Kopf zur Seite. »Gefährlich sehen die nicht aus.«
    »Das tun Wölfe auch nicht. Beeilung!«
    »Wölfe sind Wölfe«, meinte Matteo.
    »Söldner sind Söldner«, entgegnete Antonia. »Und Söldner ohne Krieg sind gefährlicher als Wölfe ohne Fressen. Manche töten schon aus Langeweile.«
    »Was ist mit dir?«, fragte Aurelio, dem nicht entgangen war, dass Antonia bisher nur von »ihr« gesprochen hatte.
    »Ich bin alt. Mir werden sie nichts tun.«
    »Du willst alleine auf dem Hof bleiben?«, schaltete sich Giovanna ein, die dabei war, Luigi in eine Decke zu wickeln.
    »Wenn wir ihnen einen unbewohnten Hof überlassen, wird am Ende nichts mehr
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