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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator
Autoren: Marco Lalli
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zweitklassiger Roman, den ich zu erinnern glaubte?
    »Hast du sie gefunden?« Sie war nebenan im kleinen Bad, das zu unserem gemeinsamen Schlafzimmer gehörte. Trotz der wenigen Meter, die uns trennten, klang ihre Stimme seltsam hohl und entfernt.
    »Was?«
    »Na was wohl, deine Manschettenknöpfe!« Jetzt stand sie in der Tür und fingerte an ihrem Gold schimmernden Halstuch herum und versuchte vergeblich die widerspenstigsten Falten zu bändigen. »Was hast du denn mit Frau Schröder angestellt? Sie ist hier vorbeigeschlittert, als seien alle Hunde der Hölle hinter ihr her.«
    Frau Schröder? Warum um alles in der Welt hieß eine Katze Frau Schröder?
    »Da sind sie doch!« Mit wenigen Schritten war sie an seinem Nachttisch und nahm die Knöpfe aus der Kristallschale. »Genau da, wo ich sie dir hingelegt habe!« Sie hielt sie mit spitzen Fingern und ließ sie auf dem Rückweg ins Bad mit einem vielsagenden Lächeln in seinen Schoß fallen. »Manchmal wundere ich mich wirklich, wie blind du bist. Hoffentlich vergisst du nicht mal eine Schere oder sonst ein gefährliches Teil in einem deiner Patienten!«
    »Ich bin kein Chirurg!« Offenbar war ich kein Chirurg.
    »Natürlich bist du kein Chirurg! Trotzdem schnipselst du ab und zu an jemanden herum, oder?«
    Sie hantierte weiter für mich unsichtbar im Bad. Das Klappern von Glas oder Metall klang zu mir herüber, und ich fragte mich, wie lange sie noch brauchte. »Wie lange brauchst du noch?«
    Sie sang: »Ich biiin gleich soweit!«
    Die Manschettenknöpfe waren auf den Teppich gefallen, und ich hob sie auf. Sie hatte mir die Verbindungsknöpfe herausgesucht, jenes Geschenk, das ich vor vielen Jahren anlässlich meines Übertritts zu den Alten Herren erhalten hatte. Ich wollte gerade die kleinen Silberplättchen polieren, die darauf angebracht waren, winzige Münzen, die die Insignien meiner akademischen Verbindung zeigten, das vielfach geschwungene T! auf der einen, den Wahlspruch ( Carpe diem! ) auf der anderen, als ich erstarrte. Es waren unzweifelhaft die richtigen Manschettenknöpfe, der gleiche ultramarinfarbene Überzug, die gleiche helle Marmorierung, die tatsächlich an einen Stein erinnerte, nur war es nicht mehr das Initial meiner Verbindung, das in seiner feinen Gravur erstrahlte, sondern der Kopf eines Mannes, und anstellen des gutgemeinten Mottos, den Tag zu nutzen, war ein Punkt zu sehen, von dem Strahlen ausgingen, die Sonne, ein Stern vielleicht. Auch eine Schrift konnte ich mühsam entziffern. BONA BONIS, MALA MALIS stand in grobschlächtigen, römisch anmutenden Buchstaben geschrieben. Mehr als dieser Spruch, über dessen Bedeutung nachzudenken ich keine Muße hatte, beunruhigte mich das Porträt, das im Profil wiedergegebene Gesicht. Ein Gesicht, das ich kannte, ein Gesicht, das ich anders kannte, aber fraglos dasselbe war, ein Gesicht das in Wirklichkeit eine besser proportionierte Nase und eine höhere Stirn hatte, hätte haben müssen, ein Gesicht, das ich mit vollerem Haar erinnerte, weniger aufgedunsen als in dieser seltsamen Karikatur, von der ich nicht wusste, ob sie der Absicht oder der mangelnden Kunstfertigkeit des Graveurs geschuldet war. Und doch, bei allen Unterschieden, den teils lächerlichen, teils grotesken Entstellungen und Überzeichnungen, es stand außer Frage, dass das Plättchen auf dem Manschettenknopf mich zeigte. Es war mein Kopf.
    »Na, wie sehe ich aus?« Therèse - ja, sie hieß Therèse, fiel mir wieder ein -, stand im Zimmer und drehte sich in ihrem silbergrauen Kostüm mit gespielt gelangweilter Miene, als stünde sie auf dem Laufsteg. Erst als sie ihre private Modeschau beendet hatte, schien sie sich wieder meiner zu besinnen. »Du sitzt ja immer noch hier herum! Stimmt irgendwas nicht?«
    Ich rappelte mich auf. »Wie? Nein, nein, was soll denn sein?« Etwas benommen stand ich wieder auf eigenen Füßen und strich mir die Hosenbeine glatt.
    »Bist du aufgeregt?«
    Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, was auf mich oder auf uns wartete. Vielleicht waren wir auf dem Weg ins Theater oder in die Oper.
    »Kommt ihr jetzt endlich?!« Es war die Stimme unserer Jüngsten, die die Treppe heraufschallte. »Wir kommen zu späät!«
    Wir gingen hinunter, und da standen sie alle Drei, Mäntel und Taschen schon auf dem Arm.
    »Das kann unmöglich sein, mein Liebling. Niemand wird ohne Vater anfangen.« Therèse schien gut gelaunt zu sein.
    Es hörte sich nicht nach Theater oder Oper an, und langsam wurde ich
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