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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator
Autoren: Marco Lalli
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tatsächlich nervös.
    Die Älteste war mit einem weißen Pullover und einem grauen Rock am unauffälligsten gekleidet. Sie war nicht geschminkt, und hätte auch auf dem Weg zur Uni zu ihrem theologischen Seminar sein können. Die Mittlere hatte ihr neues Kostüm an. Das hatte wohl ein kleines Vermögen gekostet, und ich fragte mich, ob sie als Neunzehnjährige nicht zu viel Taschengeld bekam. Oder hatte sie sich selbst etwas hinzu verdient? Die Jüngste war Vierzehn. Sie hatte einen Schmollmund und machte auf mich einen unpassend frühreifen Eindruck. Alle Drei hatten das blonde Haar der Mutter. Sie bemühten sich sichtlich, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg, ihre unaufdringliche Weltgewandtheit zu kopieren.
    In der Garage standen vier Autos: ein Chrysler Geländewagen, ein Jaguar Cabriolet, den roten Fiat Barchetta, den wir Helene, der Ältesten, letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten, und eine große, dunkelblaue Mercedes-Limousine, auf die ich zielstrebig zusteuerte.
    Das Garagentor schwang auf, und der schwere Wagen glitt hinaus in die Nacht. Wir rollten langsam talwärts der Stadt entgegen. Durch schmale Gassen fuhr ich Richtung Autobahn. Die Uhr zeigte halb acht. An diesem Sonntagabend herrschte der übliche nicht allzu dichte Verkehr. Die Mädchen sprachen leise. Ich hatte das Radio eingeschaltet, und irgendein Schlager ließ ihre Stimmen zu einem unverständlichen Gemurmel schrumpfen. Ich sagte nichts. Auch Therèse schwieg.
    Die Anspannung hatte sich gelegt. Das Fahren schien mich zu beruhigen, und ich wäre gerne schneller gefahren als jene 140 Stundenkilometer, die in diesem Auto, das einer hermetisch verschlossenen Tauchglocke glich, nicht zu spüren waren, die ich nur nach Tacho, angesichts der Geschwindigkeitsbeschränkung und der Familie an meiner Seite, gewählt hatte, so als säße ich an einer Spielkonsole und steuerte einen blinden Instrumentenflug.
    Die Großstadt näherte sich. Hochhäuser wuchsen empor, dunkle Schatten im Streulicht der Lampen. Rot pulsierten Lichter auf Türmen und Masten, warnten die Flugzeuge des nahen Flughafens. Es war kalt, und den vier Kaminen des Großkraftwerks entströmten lange Rauchfahnen, hoben sich ab gegen den mondlosen Himmel, gezogen vom Westwind.
    Das Porträt ging mir durch den Kopf, mein Gesicht im Profil wie das eines Cäsars auf einer römischen Münze. Im ersten Augenblick hatte ich an einen Scherz, eine kleine Überraschung gedacht, doch jetzt war ich mir nicht einmal mehr sicher, was ich wirklich gesehen hatte. Nachzuschauen traute ich mich nicht. Es waren nur wenige Minuten, die die Autobahnfahrt dauerte, und je mehr sich die Silhouette der Stadt näherte, desto sicherer wurde ich mir, dass ich das Rätsel entweder jetzt oder nie lösen würde.
    »Hast du deinen Vortrag dabei?« Therèse sah zu mir herüber, und ich erwiderte kurz ihren Blick.
    »Was für einen Vortrag?«
    »Na, du wirst ja wohl auch ein paar Worte sagen wollen!«
    »Mir wird schon was einfallen.«
    »Ist wirklich alles in Ordnung?« In die Sorge in ihrem Blick mischte sich Ratlosigkeit. »Ich dachte, du freust dich ein bisschen ... schließlich passiert das nicht jeden Tag. Es ist vielleicht die größte Stunde in deinem Leben.« Sie sprach langsam, so als versuche sie sich vorzustellen, wie es ihr selbst in dieser Situation erginge. »Oder ist es das?«
    »Was?«
    »Mein Gott! Du kannst manchmal so schwer von Begriff sein! Oder willst du mich nicht verstehen?«
    »Ihr wollt doch nicht anfangen zu streiten?« Unsere Jüngste hatte ihren Pagenkopf durch die Vordersitze nach vorne gestreckt. Sie hatte ihrer Mutter und mir jeweils eine Hand auf die Schulter gelegt und lachte. »Dass sich Erwachsene nie normal unterhalten können!«
    Ich gab mir einen Ruck. »Judith hat recht. Es ist ein viel zu schöner Tag, um zu streiten.« Betont fröhlich fügte ich hinzu: »Kinder, ich glaube, wir sind gleich da!«
    Die Autobahn war zu Ende. Eine breite Allee nahm uns auf. Wenige Ampeln, und wir hatten die Universität erreicht.
    Die Aula war gut gefüllt. Ein vielstimmiges Brausen hing in der Luft und verdichtete sich zu einem Rauschen, einem stetigen Hintergrundgeräusch, das schon nach wenigen Sekunden nicht mehr zu Bewusstsein drang, als hätte es aufgehört zu existieren. Während ich durch die Stehenden hindurchging, wandten sich mir die Gesichter zu, Köpfe nickten, warfen anderen Köpfen Blicke zu, als wollten sie sagen: Das ist er! Hände streckten sich mir entgegen, die ich
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