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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator
Autoren: Marco Lalli
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Gerne würde ich etwas von dem zurückgeben, was dieser Mann, um dessentwillen wir uns heute hier versammelt haben, für mich getan hat. Ich spreche, wie Sie alle wissen, von meinem akademischen Lehrer und Freund Martin Dorint.«
    Er fuhr in diesem etwas umständlichen Stil fort, und ich lehnte mich zurück, zufrieden mit mir und der Welt. Je länger er sprach, und nach ihm der Rektor, dann unser Landesvater und der allseits geschätzte Oberbürgermeister, umso wohler fühlte ich mich. Selbst meine Manschettenknöpfe gerieten in Vergessenheit.
    Nach einem weiteren musikalischen Intermezzo erhob sich Professor Steinbrecher, die graue Eminenz der deutschen Medizin, um die Laudatio zu sprechen. Auch mit seiner Emeritierung hatte er nur wenig seines Einflusses verloren. Falls überhaupt möglich, wurde es im Saal noch stiller. Zum ersten Mal kam so etwas wie Spannung auf. Bisher hatten die berufsmäßigen Redenschreiber das Heft geführt, jetzt würde sich entscheiden, ob es bei unverbindlichen Artigkeiten blieb oder ich tatsächlich hinauf auf den Olymp gehoben werden würde. Auch ich war angespannt, mein Magen meldete sich mit einem leichten Stechen.
    Seine Stimme klang brüchig. Der Verstärker war hochgedreht worden, und ein Rauschen mischte sich in die kratzenden Laute, die aus den Lautsprechern drangen. Er hatte nur wenige Bögen Papier vor sich liegen. Die beiläufige Art, mit der er das Mikrofon zu sich heruntergezogen hatte, die ganze Leichtigkeit seiner Haltung, die ihn mit dem Rednerpult verwachsen ließ, kaum hatte er sich dahinter aufgebaut, die kleinen und konzentrierten Bewegungen seiner Hände, wenn er etwas zurechtrückte oder eine Seite umblätterte, all die untrüglichen Hinweise auf seine zigjährige Routine, auf die unzähligen Vorlesungen, Vorträge und Ansprachen, flößten Respekt und Ehrfurcht ein. Trotz seines eher unauffälligen Äußeren, war Steinbrecher jemand, der die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer allein durch seinen Auftritt zu fesseln verstand. Wenn Alter und Weisheit untrennbar miteinander verbunden waren, dann bei ihm.
    »Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein noch junger Mann,« Professor Steinbrecher unterbrach sich kurz und lächelte, »im Vergleich zu mir sind natürlich alle Männer mehr oder weniger jung«, pflichtschuldig erklang vereinzelt verhaltenes Lachen, »ein junger Mann also im Alter von kaum fünfzig Jahren auf diese Art und Weise geehrt wird. Der Humboldt-Preis ist die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung, die dieses Land zu vergeben hat. Und ich bin sehr froh, und das sage ich aus ganzen Herzen, dass ich heute hier stehen und die Laudatio für meinen Schüler Martin Dorint halten darf.« Erleichtert atmete ich aus. Therèse drückte meine Hand. Es sah gut aus. Wir waren in die richtige Richtung gestartet, und ich brauchte nur darauf zu warten, dass er an Höhe gewann. »Wenn der ehemals jüngste Chefarzt an einer deutschen Universitätsklinik eine solche Auszeichnung erhält, dann kann das natürlich keine Überraschung sein. Und doch, ich erinnere mich noch deutlich an den Studenten Dorint, der vor nunmehr fast dreißig Jahren das zweifelhafte Vergnügen hatte, bei mir Anatomie zu studieren.« Er schmunzelte. »Damals jedenfalls sah es nicht so aus, er könne es weiter bringen als zu einem mittelmäßigen Arzt.« Diese scherzhafte Bemerkung nutzte er geschickt, um zu einem zu trocken geratenen Abriss meines wissenschaftlichen Werdegangs überzugehen. Er zählte meine verschiedenen Anstellungen auf, beschrieb Forschungsprojekte, würdigte Publikationen, stellte die Bedeutung des Handbuchs für angewandte Gehirnforschung heraus und ließ eine lange Liste mit verschiedenen Ämtern folgen, die ich im In-und Ausland bekleidete.
    Er sprach bereits eine gute Viertelstunde, und ich begann zu fürchten, die Anwesenden könnten die Lust verlieren, seiner Schilderung meiner beeindruckenden Leistungen zu folgen, als er erneut Geschwindigkeit aufnahm: »Wenn wir uns heute zu diesem Festakt anlässlich der Verleihung des Humboldt-Preises versammelt haben, dann geht es uns nicht nur darum, diese einzigartige wissenschaftliche Leistung zu rühmen. Es geht uns nicht nur darum, die Festschrift zum Fünfzigsten Geburtstag von Professor Dorint der Öffentlichkeit vorzustellen. Nein, es geht uns um mehr, es geht uns um den ganzen Menschen, es geht uns um Martin Dorint.« Er trank mit spitzen Lippen einen winzigen Schluck Wasser. Seine Worte hatten mich bewegt. Im Gesicht meinte
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