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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher
Autoren: Sebastian Fitzek
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ihn damals zu dem sündhaft teuren Kauf überredet, weil der dunkle Zweireiher angeblich so hervorragend mit der Farbe seiner schwarzen Haare harmoniere, die er seinerzeit in einem lächerlichen Anflug postpubertärer Rebellion noch etwas länger trug.
Wenn er heute, viele Jahre später, wieder etwas kaufen wollte, was zu seiner Frisur passte, müsste der Anzug aschgrau sein, lichte Stellen haben und auf dem Rücken ein Loch wie eine Mönchstonsur aufweisen.
»Was sagen Sie?«
Er spürte ein brennendes Ziehen in seinem Meniskus, als er unvernünftigerweise einen Schritt zur Seite trat. Nur sechs hatten sich freiwillig gemeldet. Vier Frauen, zwei Männer. Typisch. Bei derartigen Versuchen waren die Frauen immer in der Überzahl. Entweder weil sie mutiger waren oder weil sie noch dringender das Geld benötigten, das er in dem Aushang am Schwarzen Brett für die Teilnahme an diesem psy chiatrischen Experiment ausgelobt hatte.
»Entschuldigen Sie, habe ich das richtig verstanden?« Linke Seite, zweiter Platz. Der Professor sah auf die Liste vor sich, um den Namen des Probanden zu ermitteln, der sich gerade zu Wort gemeldet hatte: Florian Wessel, 3. Semester.
Der Student hatte beim Lesen der Einführung einen perfekt gespitzten Bleistift über den Zeilen schweben lassen. Eine kleine, halbmondförmige Narbe unter dem rechten Auge deutete auf seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung. Jetzt legte er das Schreib gerät zwischen die Seiten und schlug die Akte zu. » Das hier soll ein medizinisches Behandlungsprotokoll sein?«
»In der Tat.« Der Professor gab dem jungen Mann mit einem gutmütigen Lächeln zu verstehen, dass er seine Verwunderung gut nachvollziehen konnte. Sie war sozusagen Bestandteil des Experiments.
»Lötkolben? Folter? Polizei? Mit Verlaub, aber das liest sich eher wie der Beginn eines Thrillers und nicht wie eine Patientenakte.«
Mit Verlaub? Es war lange her, dass er diese antiquierte Phrase gehört hatte. Der Professor fragte sich, ob der streng gescheitelte Student immer so redete oder ob es nur die melancholische Patina ihres un gewöhnlichen Aufenthaltsorts war, die auf seinen Sprachgebrauch abfärbte. Er wusste, dass die schreckliche Geschichte des Gebäudes einige von der Teilnahme abgeschreckt hatte. Zweihundert Euro hin, zweihundert Euro her.
Aber genau darin lag ja der Reiz. Das Experiment genau hier durchzuführen und nicht woanders. Es gab für den Test keinen besseren Ort, auch wenn es im ganzen Komplex nach Schimmel roch und es so kalt war, dass sie kurzfristig überlegt hatten, ob sie nicht den Kamin von dem Müll befreien und in Gang setzen sollten. Immerhin war heute der dreiundzwanzigste Dezember, und die Temperaturen lagen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Schließlich hatten sie zwei Ölradiatoren gemietet, die den hohen Raum jedoch nur unzureichend aufheizten.
»Sie sagen, es liest sich wie ein Thriller?«, wiederholte der Professor. »Nun, damit liegen Sie gar nicht so falsch.«
Er presste seine Handflächen in spitzer Gebetshaltung zusammen und roch an seinen verschrumpelten Fingerspitzen. Sie erinnerten ihn an die groben Hände seines Großvaters. Doch der hatte, im Gegensatz zu ihm, sein Leben lang im Freien arbeiten müssen. »Der Arzt, in dessen Praxisnachlass man das Dokument gefunden hat, das Sie gerade in Händen halten, war einer meiner Kollegen, ein Psychiater. Viktor Larenz. Sein Name dürfte Ihnen im Laufe Ihres Stu diums bereits begegnet sein.«
»Larenz? Ist der nicht tot?«, wollte ein Student wissen, der sich erst gestern für den Versuch angemeldet hatte.
Der Professor sah wieder auf die Liste und identifizierte den Mann mit den schwarzgefärbten Haaren als Patrick Hayden. Er und seine Freundin Lydia saßen dicht nebeneinander. Die Lücke zwischen ihren Körpern war so schmal, dass man selbst mit Zahn seide nur schwer dazwischengekommen wäre, was vor allem auf Patricks Initiative zurückzuführen war. Wann immer Lydia sich etwas mehr Bewegungsfreiheit verschaffen wollte, legte er den Arm noch fester um ihre Schultern und zog sie besitzergreifend wieder an sich zurück. Er trug ein Sportsweatshirt mit dem intelligenten Aufdruck »Jesus liebt dich«. Knapp darunter stand kaum leserlich: »Jeder andere denkt, du bist ein Arschloch.« Patrick hatte es schon einmal getragen, als er zu ihm gekommen war, um sich über eine schlechte Klausurnote zu beschweren.
»Viktor Larenz tut hier nichts zur Sache«, winkte der Professor ab. »Seine Geschichte ist für den
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