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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher
Autoren: Sebastian Fitzek
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Professor sammelte Florians Vordruck wieder ein und griff nach seiner Akte. Dann sah er zu den drei Studentinnen hinüber, die gerade ihre Köpfe zusammengesteckt hatten. »Wir wissen zwar nicht, worum es geht, aber wenn Florian abbricht, dann lassen wir besser auch die Finger davon.«
Wieder war es die Rothaarige, die als Einzige mit ihm kommunizierte.
»Wie Sie wünschen. Kein Problem.«
Er sammelte auch hier die Plastikordner ein, während die jungen Frauen ihre Wintermäntel von den Stuhllehnen nahmen. Florian stand bereits in Kapuzen jacke und Handschuhen am Ausgang und wartete. »Und was ist mit Ihnen?«
Er sah auf Lydia und Patrick hinab, die noch unschlüssig in den Akten blätterten.
Schließlich zuckten beide synchron mit den Achseln. »Was soll’s. Hauptsache, mir wird kein Blut abgenommen«, sagte Patrick.
»Ja, was soll’s.« Lydia gelang es endlich, etwas von ihrem Freund abzurücken.
»Sie sind doch die ganze Zeit bei uns, oder?« »Ja.«
»Und wir müssen nichts weiter tun als lesen? Nicht mehr?«
»So ist es.«
Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss. Die Abbrecher waren grußlos gegangen.
»Dann mach ich mit. Ich kann das Geld gut gebrauchen.«
Lydia schenkte dem Professor einen Blick, der ihr nie offen ausgesprochenes Schweigegelübde erneut besiegelte.
Ich weiß, sagte er in Gedanken und nickte ihr zu. Nur knapp. Nicht zu auffällig.
Natürlich brauchst du das Geld .
Es war an einem viel zu heißen Aprilwochenende gewesen, als ihn eine Welle des Selbstmitleids in ihr Privatleben gespült hatte.
Sein einziger Freund hatte ihm den Rat gegeben, aus seinen üblichen »Erlebnisschemata« zu springen, wenn er die Vergangenheit endlich vergessen wollte. Er müsse etwas tun, was er in seinem Leben noch nie getan habe. Drei Gläser später waren sie in diese Bar gegangen. Nichts Aufregendes. Es war nur eine harmlose, langweilige Show gewesen. Abgesehen davon, dass die Mädchen oben ohne tanzten, bewegten sie sich nicht viel anzüglicher als die meisten Teenager in einer Disco. Und, soweit er es erkennen konnte, gab es auch kein Hinterzimmer.
Dennoch kam er sich wie ein asozialer alter Mann vor, als Lydia plötzlich mit der Cocktailkarte vor ihm stand. Ohne Rollkragenpulli und Haarreif, sondern im Rock einer Schulmädchenuniform. Sonst trug sie nichts.
Er bezahlte einen Cocktail, ohne ihn zu trinken, ließ seinen Freund sitzen und freute sich, sie in der nächsten Vorlesung wieder in der ersten Reihe zu sehen. Sie hatten nie ein Wort darüber verloren, und er war sich sicher, dass Patrick nichts von der Nebenbeschäftigung seiner Freundin wusste. Obwohl er selbst wie jemand aussah, der in derartigen Clubs den Barkeeper beim Namen kannte, wirkte er nicht sehr tolerant, wenn es um seine eigenen Interessen ging.
Lydia seufzte leise und setzte ihren Namenszug unter die Haftungsfreizeichnung.
»Was kann schon passieren?«, fragte sie beim Schreiben. Der Professor räusperte sich, sagte aber nichts. Stattdessen warf er einen prüfenden Blick auf beide Unterschriften und sah dann auf seine Uhr.
»Schön, dann wären wir also soweit.«
Er lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Das Experiment beginnt. Bitte blättern Sie auf Seite acht der Patientenakte.«
     

17.49 Uhr, einen Tag vor Heiligabend – Neun Stunden und neunundvierzig Minuten vor der Angst
    S. 8 ff. der Patientenakte Nr. 131071/VL Nur weiterlesen unter medizinischer Aufsicht.
    »Stellen Sie sich folgende Situation vor …«
Caspar hörte die Stimme der alten Dame, zu deren Füßen er kniete, nur dumpf, wie durch eine geschlossene Tür hindurch.
»Vater und Sohn fahren nachts auf einer verschneiten Straße durch den dunklen Wald. Der Vater verliert die Kontrolle über seinen Wagen. Die beiden prallen gegen einen Baum, und der Vater ist sofort tot. Der Junge überlebt schwerverletzt und wird in ein Krankenhaus gebracht, wo man ihn sofort in die Unfallchirurgie bringt. Der Chirurg kommt, erstarrt und sagt panisch: ›O mein Gott, diesen Jungen kann ich nicht operieren. Das ist mein Sohn!‹«
Die alte Dame auf dem Bett machte eine kurze Pause, dann fragte sie triumphierend: »Wie ist das möglich, wenn der Junge nicht zwei Väter hat?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Caspar hielt die Augen geschlossen und verließ sich voll und ganz auf seinen Tastsinn, während er versuchte, den Fernseher zu reparieren. Daher konnte er ihr schelmisches Lächeln hinter seinem Rücken nur ahnen. »Ach kommen Sie. Das Rätsel ist doch gar nicht so schwer für einen
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