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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut
Autoren: Sabine Klewe
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angeschlagenen Zustands. Und trotz der eher jungenhaften Kleidung. Sie trug Jeans, braune Lederstiefel und einen grobmaschigen schwarzen Strickpulli mit Rollkragen. Den dunkelgrünen Parka hatte sie auf den Rücksitz geworfen.
    Er versuchte sich vorzustellen, mit was für einem Typen sie wohl die letzte Nacht verbracht hatte. Hatte sie einen Liebhaber, von dem die Kollegen nichts wussten? Oder war sie mit einem Fremden ins Bett gestiegen? Chris konnte nicht sagen, welche Variante ihm wahrscheinlicher erschien. So oder so hatte die Vorstellung, wie Lydia Louis es zwischen zerwühlten Laken mit einem Unbekannten trieb, etwas seltsam Irritierendes.
    Mörike, der Praktikant, meldete sich per Funk. Sofort verlagerte Chris seine Aufmerksamkeit auf den Fall und auf das, was das Babyface mitzuteilen hatte. Er gab ihnen den Namen und die Anschrift der Zeugin durch. Ellen Dankert, Fabershof in Erkrath. Lydia unterbrach die Verbindung, ohne sich zu bedanken.
    Wenige Minuten später hielten sie vor einem schmucken Reihenhaus in einer Siedlung mit lauter schmucken Reihenhäusern. Das Heim von Ellen Dankert unterschied sich lediglich in den Details von dem ihrer Nachbarn. Ein Tonschild, das selbst getöpfert aussah, hing an der Tür. »Hier wohnen Ellen, Philipp, Maja und Lukas Dankert« stand mit verschnörkelter Schrift darauf geschrieben.
    Der Anblick traf Chris wie ein elektrischer Schlag. Unwillkürlich dachte er an das Schild, das an seiner eigenen Haustür hing und das diesem hier stark ähnelte. Lediglich die Namen waren andere: Stefanie, Christopher und Anna Salomon. Was längst nicht mehr stimmte. Er biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste in den Taschen seiner Lederjacke. Dann folgte er seiner neuen Kollegin durch den winzigen Vorgarten zur Tür.
    Die Frau, die ihnen öffnete, war noch keine dreißig und sah grau und verschreckt aus. Irgendwo im Haus plärrte der Fernseher, die Waschmaschine schleuderte lautstark. Ohne recht hinzusehen warf Ellen Dankert einen Blick auf die Ausweise und machte Platz, um die beiden einzulassen. Sie hatte das dünne Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, trug einen blauen Jogginganzug und Turnschuhe, und Chris fragte sich, ob sie sich noch nicht umgezogen hatte, seit sie aus dem Wald zurückgekommen war.
    Die Küche prahlte mit hochmodernem Mobiliar und war mit neuester Technik vollgestopft, eine Sitzgruppe in Chrom und Leder dominierte den Raum. Alles wirkte unangenehm steril, so als sei es für einen Katalog zusammengestellt. Lediglich die Fenster verbreiteten ein wenig menschliche Wärme. An den Scheiben klebte herbstliche Dekoration, buntes Laub und ein Drachen aus Ton-papier, möglicherweise im Kindergarten gebastelt. Der Fensterschmuck passte ebenso wenig zu der seelenlosen Designereinrichtung wie die mausgraue junge Frau mit dem verängstigten Gesicht.
    Sie ließen sich in der Sitzecke nieder. Die Stühle federten bequem, die gläserne Tischplatte glänzte makellos, kein Schokoladenfleck, nirgendwo ein winziger Abdruck von Kinderfingern. Ellen Dankert verschwand kurz, der Fernseher verstummte, und auch die Geräusche der Waschmaschine waren mit einem Mal nur noch gedämpft zu hören. Sie kam zurück und setzte sich zu ihnen.
    »Frau Dankert, wir haben da noch ein paar Fragen«, begann Lydia.
    Die Frau nickte stumm.
    »Wann genau heute Morgen haben Sie die Tote entdeckt?«
    Ellen Dankert zuckte zusammen. »Es ist also wirklich eine Leiche?«
    Erstaunt registrierte Chris, dass sie erleichtert zu sein schien.
    Lydia nahm das offenbar nicht wahr. »Ja«, erwiderte sie knapp. »Also, um wie viel Uhr war das?«
    »Ich – ich weiß nicht so genau. Mein Mann ist um halb sechs aus dem Haus. Er ist Chirurg, arbeitet in der Uniklinik. Danach habe ich mich schnell umgezogen und bin losgelaufen. Bis zu der Stelle brauche ich vielleicht zehn oder zwölf Minuten.« Sie zuckte unsicher mit den Schultern.
    »Also gegen viertel vor sechs?«, fragte Chris.
    »So in etwa.«
    »Was genau haben Sie gesehen?«, setzte Lydia die Befragung fort.
    »Nur etwas Schwarzes. Haare.«
    »War jemand außer Ihnen im Wald? Haben Sie irgendwen gesehen?«
    »Nein. Nein, ich war ganz allein.« Ihre Stimme klang mit einem Mal schrill. Hektisch rieb sie sich mit den Handflächen über die Oberarme. Ihr Blick huschte zur Uhr, die an der Wand über der Tür hing. »Ich muss einkaufen. Sonst bekomme ich das Essen nicht rechtzeitig fertig. Philipp – er besteht darauf, pünktlich zu essen.«
    »Es ist doch
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