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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut
Autoren: Sabine Klewe
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zustimmend.
    »Willkommen im Team, Chris«, sagte Gerd Köster und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Dann zur Sache«, fuhr Lydia fort. Sie hatte nicht die geringste Lust, Paul Newman zu duzen, aber wenn sie jetzt querschoss, kam das einem offenen Affront gleich. Widerwillig unterdrückte sie ihren Ärger und wandte sich an ihren Nebenmann. »Köster, du führst die Akte?«
    Gerd Köster klopfte auf einen Stapel Blätter. »Habe schon angefangen.«
    »Ich fasse zusammen, was wir bisher wissen«, erklärte Lydia. »Eine junge Frau ist – vermutlich irgendwann letzte Nacht – gefesselt, bis zum Hals im Waldboden eingegraben und zu Tode gesteinigt worden. Heute Morgen gegen sechs wurde ihre Leiche gefunden. Es ist möglich, dass der Täter noch in der Nähe war, die Zeugin, die die Tote fand, hat ein Knacken gehört. Andererseits knackt es in einem Wald ständig, das muss also nichts heißen. Die Identität der Frau ist noch nicht ermittelt. Außer einem kleinen Perlenohrring haben wir keine persönlichen Gegenstände bei ihr gefunden. Sie war nackt. Doktor Lahnstein beginnt noch heute Nachmittag mit der Obduktion, ich werde selbst dabei sein.« Lydia holte Luft. »Und dann haben wir noch etwas sehr Spezielles im Wald entdeckt, von dem wir allerdings nicht wissen, ob es mit dem Mord zu tun hat: In einen Baumstamm in der Nähe des Tatorts war etwas eingeritzt.« Sie stand auf, griff nach einem der bereitliegenden Stifte und schrieb die Buchstaben- und Zahlenfolge an das Whiteboard hinter ihr an der Wand. RI1924. »Die Inschrift war frisch, das Holz noch feucht.«
    »Ich habe mal gegoogelt«, unterbrach Salomon sie. »Man kriegt eine Reihe Treffer, wenn man RI1924 eingibt, aber nichts, was einen direkt anspringt. Die meisten Seiten sind auf Englisch. Jede Menge über Rhode Island und das Jahr 1924 und etwas über einen amerikanischen Radiomoderator.«
    »Es könnte auch was Persönliches sein«, meinte Erik Schmiedel. »Etwas, das man nicht im Internet findet, weil es nur für den Täter oder das Opfer Bedeutung hat. Oder irgendein Code.«
    »Klar«, sagte Lydia. »Im Augenblick ist alles möglich. Wir sammeln Ideen. Okay? Egal, wie absurd sie erscheinen. Und Salomon, du suchst weiter im Internet. Vielleicht findest du doch noch etwas Interessantes.«
    »Und wenn das am Anfang gar keine Buchstaben sind?«, warf Reinhold Meier ein. Er verschränkte die Arme vor seiner breiten, muskulösen Brust, sodass sein schwarzes T-Shirt sich spannte. »Das ›I‹ zumindest könnte auch eine missglückte Eins sein.«
    »Und das ›R‹?«, fragte Schmiedel und grinste seinen Freund an.
    »Was weiß ich«, schnauzte der zurück. »Du bist doch der Professor. Sag du’s mir.«
    Erik Schmiedel war bekannt dafür, dass er immer mit einem Buch herumlief. Er las in jeder freien Minute, meistens Kriminalromane. Wofür ihn so mancher Kollege schief ansah. Die meisten wollten sich in ihrer kostbaren Freizeit nicht auch noch mit Mord und Totschlag beschäftigen, und außerdem ärgerten sie sich darüber, wie viel Unsinn in solchen Romanen verzapft wurde. Schmiedel störte das nicht. Er liebte Krimis. Er hatte sogar schon einmal versucht, seine Quittungen aus der Buchhandlung als Fortbildungskosten einzureichen, doch er war jämmerlich gescheitert. Weynrath hatte ihn unter wüsten Beschimpfungen aus seinem Büro gejagt und mit hochrotem Kopf über den ganzen Flur gebrüllt, ob er seine Besuche im Puff vielleicht auch von Vater Staat finanziert haben wolle.
    »Meier hat recht«, fuhr Lydia dazwischen. »Wir sollten für alles offen bleiben. Etwas in die Baumrinde ritzen ist nicht das Gleiche wie eine Notiz auf ein Blatt Papier schreiben. Vor allem, wenn man gerade jemandem mit einem Haufen Steine den Schädel zertrümmert hat. Da kann schon mal ein Zeichen nicht ganz so werden wie geplant. Deshalb seht euch die Fotos an und sagt, was euch dazu einfällt.« Sie blickte in die Runde. »Was gibt es sonst noch?«
    »Ich habe mich ein bisschen informiert«, sagte Köster. Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen, dann setzte er sie wieder auf. Lydia knetete ungeduldig ihre Finger. Köster war manchmal etwas umständlich, aber sie wusste, dass es sich normalerweise lohnte, auf das zu warten, was er zu sagen hatte. »Ich habe Weynraths These überprüft. Von wegen Steinigung als Ehrenmord und so.«
    »Und?«, fragte Lydia.
    »Ziemlich grausig, was man zu dem Thema findet. Steinigung gibt es sowohl im Judentum als auch im Christentum und im Islam.
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