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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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bedenke, dass der gierige Wolfskapitän
    so reichlich absahnt bei all diesem Elend.
    Sein Schiff ist, wie alle anderen,
    schon beinahe ganz gefüllt.
    Ich habe eine Idee.
    Wenn ich nun vorgab, ein Jude zu sein, ungetauft,
    der wie die anderen auf seine Flucht wartet?
    Das würde mich zumindest auf dieses Schiff
    zu Amir bringen!
      
    Nähen (3)
    Es ist wieder wie in der Zeit in Córdoba,
    in der ich meine Abende zu Hause eingesperrt verbrachte,
    verkrochen wie ein Mädchen.
    Mein letzter Abend an Land, wenn alles gut geht.
    Wie verbringe ich ihn?
    Weder trinke noch raufe ich,
    noch laufe ich Frauen nach.
    Ich nähe .
    Ich frage mich, was einige der hartgesottenen Folterknechte,
    mit denen ich bei Festmahlen am Tisch sitze, dazu sagen würden!
    Meine Worte rahmen die von Hafis ein
    wie Arabesken, die man in den schönsten Büchern sieht.
    Ich habe bisher erst die Hälfte der Seiten verbraucht,
    Aber ich bete, dass Papa findet,
    sie seien ein Anfang.
    Vielleicht sollte ich sie an ihn schicken,
    ehe ich meinen nächsten Schachzug mache.
    Aber dann fällt mir wieder ein, was mit seinem
    kostbaren Buch geschah. Lieber nicht.
    Ein letztes Mal trenne ich den Saum meines Umhangs auf.
    Stecke die Geschichten hinein. Und Amirs Gedichte
    und Papas Freilassungsbrief.
    Ich bin bereit.
      
    Beobachter
    Ich stürme auf das Schiff,
    als sei meine Zeit pures Gold.
    »Macht Platz, Leute, bitte,
    macht Platz!«
    Ein Pater läuft hinter den Juden her,
    die die Planke hochgehen. Eine letzte Chance zur Bekehrung!
    Auch ihn schiebe ich beiseite.
    Natürlich nicht ganz so überstürzt,
    wie es jetzt klingt.
    Ich habe mich versteckt und das Schiff
    seit dem Morgengrauen beobachtet.
    Ich weiß, dass diensthabende Kapitäne
    Ereignisse auch dann noch aufzeichnen, wenn sie an Land sind.
    Sie schreiben drei- oder viermal am Tag in ihr Logbuch.
    Also wartete ich, bis der Wolf
    unter Deck verschwunden war,
    dann ergriff ich die Chance.
    Und es hat geklappt!
    Ich bin an Bord.
    Ich habe mich nicht auf das vorbereitet,
    was ab jetzt kommen kann.
    Hundert Juden drängen sich hier
    im Frachtraum zusammen. Es gibt kaum genug Luft für alle
    für einen einzigen Tag.
    Jetzt richten sich aller Augen auf mich,
    und zwar auf das Wappen auf meinem Umhang.
    Ich sehe Furcht und Hass
    und das Ende der Hoffnung.
    Jemand spuckt aus.
    Während ihre Blicke noch auf mich gerichtet sind,
    ziehe ich den Umhang aus.
    Wende sein Inneres nach außen.
    Hoffe, dass niemand etwas sagt
    über das Fadengewirr am Saum.
    Sie blicken immer noch finster. Ich möchte schreien.
    Glaubt mir, ich würde nichts lieber tun,
    als diese Trophäe vom Offizium direkt
    ins Meer werfen.
    Aber ich kann nicht.
    In diesem verhassten Kleidungsstück
    stecken die Fitzelchen meiner Hoffnung.
    Sie sind alles, was ich habe,
    um die Liebe meines Vaters zurückzugewinnen.
      
    Jerusalem!
    Ich kauere mich in einen Winkel
    des Schiffsbauches.
    Wenn ich mich lange genug nicht rühre,
    werden mich diese Juden sicher vergessen.
    Stimmt.
    Sie scharen sich jetzt
    um ein junges Paar.
    Vier Männer halten eine alte,
    zerschlissene Bettdecke an den Ecken
    über die Köpfe der beiden Jungen.
    Ich habe gehört, dass Juden unter
    einem Baldachin getraut werden.
    War dieses aus der Not geborene Verfahren
    vielleicht jener heilige Ritus?
    Ein lächelnder alter Mann
    steht mitten im Kreis. Jetzt
    wird ihm ein kleines Glas zu Füßen gelegt.
    Er stampft darauf, und es zerspringt.
    Alle rufen Jerusalem! .
    Es wird bis tief in die Nacht
    gesungen und getanzt.
    Diese Menschen sind voller Freude,
    weil sie zusammengehören.
    Sie haben vielleicht kein Haus mehr
    und noch nicht einmal ein Land.
    Aber ihre Sitten – bis hin zu
    jeder einzelnen Glasscherbe –
    gehören ihnen.
    Liegt darin nicht
    eine Art von Zuhause?
    Ich kenne diese Sitten nicht.
    Ich gehöre nicht dazu.
    Aber wo gehöre ich
    schon dazu?
      
    Mangel
    Nur eines fehlt
    bei dieser Hochzeit –
    etwas zu essen!
    Noch vier Monate bis zum 31. Juli.
    Wovon werden wir leben? Von guter Laune?
    Von Glasscherben?
      
    Freund
    Am nächsten Morgen sehe ich, wie wir überleben werden.
    Ein Korb mit altem Brot und ein Fass Wasser
    stehen in der Tür, als seien wir Schweine.
    Ich will nicht auffallen,
    ehe ich einen Plan gefasst habe.
    Ich bleibe sitzen.
    Wer muss denn schon jeden Tag essen?
    Der Laderaum ist doppelt so heiß
    wie eine Achselhöhle in der Hölle.
    Ich kann mir nicht helfen. Ich döse ein.
    Als ich erwache, liegt neben mir
    ein Stück altes
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