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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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Gefangenen aufzuzeichnen.
      
    Kleine Geschichten (2)
    Ich bitte sie, mir die Geschichte
    eines Gegenstandes zu erzählen, den ich ihnen nehme.
    Ich höre Geschichten von Mut und Liebesgeschichten,
    Geschichten von Verrat und Gier und vom Tod.
    Manchmal von Menschen, die gerade so durchkommen.
    Geschichten von Eltern, die dachten,
    alles wäre inzwischen anders geworden.
    Von Kindern, die hoffen,
    das hier irgendwie zu überleben.
    So viel hängt an einem einfachen Gegenstand,
    den sie einst besaßen.
    Eine Frau wurde aus ihrem Bett gezerrt
    und in den zerschlissenen Seidenpantoffeln getauft,
    die sie mir gerade ausgehändigt hat.
    Bei all diesen Befragungen
    schnarcht der Wächter an der Tür vor sich hin.
    Ich weiß, dass dieser Mann
    mit Vorliebe Bier trinkt.
    Papa, jetzt zeigt es sich, dass Alkohol
    am Ende doch der Freund dieses Schreibers ist!
    Ich schreibe so winzig, wie ich eben kann.
    Ich hoffe, Dutzende solcher Geschichten
    auf eine Seite quetschen zu können.
    Jeden Abend reiße ich in meinem Zimmer
    das Stück ab, das ich an jenem Tag gefüllt habe.
    Dann trenne ich den Saum
    meines unheiligen Umhangs auf.
    In sein Futter
    nähe ich die Geschichten ein.
      
    Wasserratte
    Da kommt er, rufen sie,
    Señor Wasserratte ist wieder unterwegs.
    In den letzten Wochen
    habe ich die Hoffnung fast aufgegeben.
    Und ich muss sagen –
    der Hohn der Besatzungen
    nagt an mir.
    Aber eine neue Galeere
    ist in den Hafen gekommen.
    Natürlich muss ich nachsehen,
    auch wenn ich nicht mit dem Herzen dabei bin.
    Hafis, hast du mich so weit
    in die Irre geführt?
      
    Wolf
    Dieser Kapitän ist für mein Gefühl mehr
    ein Wolf als ein Mensch.
    Als ich zum hundertsten Mal
    meine Beschreibung abgebe,
    betrachtet er mich mit Interesse.
    Ich kann nicht sagen, dass mir das gefällt.
    Ich bin nicht allzu überrascht, als er sagt:
    »Folgt mir.«
    Ich bin nicht zum ersten Mal im Inneren einer Galeere.
    Schon ein oder zwei Kapitäne vor ihm –
    wesentlich nettere Männer – haben mich nach unten geführt,
    damit ich in Ruhe suchen konnte.
    Aber ich bin jedes Mal schockiert.
    Dieses Schiff ist schlimmer als die anderen.
    Die Sklaven sind, wie es Sitte ist,
    mit Ketten an die Bänke gefesselt,
    auf denen sie sitzen.
    Es gibt nicht für alle Sitzplätze.
    Einige stehen in ihren Ketten.
    Sie haben keine andere Wahl,
    als im Stehen zu schlafen.
    Der Gestank ist fürchterlich.
    Hunderte von Männern, die in diesem Raum
    monatelang zusammengepfercht sind.
    Ohne je baden zu können, darauf kann man wetten.
    Aber das Schlimmste ist der Ausdruck in ihren Augen.
    Oder sollte ich sagen: das Fehlen eines Ausdrucks?
    Das sind Männer, die arbeiten müssen,
    bis sie keine Menschen mehr sind.
      
    Jedenfalls
    So kommt es mir jedenfalls vor.
    Einer hat mich gerade getreten – sehr heftig –
    gegen das Schienbein!
    Ich schaue in ihre Gesichter und erwarte, einen Funken
    von irgendeiner Regung in einem zu sehen.
    Aber sie sehen alle wieder leer, leer,
    leer aus.
    »Werdet Ihr es überleben?«, lacht der Kapitän.
    »Nun, hier ist er.
    Das ist bestimmt Euer Mann.«
    Er zeigt auf einen klapprigen, mageren Alten,
    der aussieht, als würde ihn demnächst der Tod ereilen.
    »Ist ein bisschen mitgenommen.
    Ich überlasse ihn Euch für weniger,
    als ein Pferd kosten würde.«
    Ärgerlich trete ich den Rückweg an, da passiert es.
    Habt ihr je »Rohes Ei« gespielt?
    Ich nur einmal, mit Bea.
    Jemand – es klappt immer besser,
    wenn es ein Mädchen ist – tut so, als würde er
    ein Ei auf deinem Kopf aufschlagen. Dann fährt er dir mit zappelnden Fingern leicht den ganzen Rücken hinunter.
    Du würdest schwören, es sei Eigelb, das dir über die Haut läuft.
    Genau dieses Gefühl bekomme ich,
    kurz bevor ich mich umdrehe
    und jemandem in die Augen blicke:
    Amir.
      
    Kein Verkauf
    Natürlich habe ich keine Papiere,
    die beweisen, dass er mir gehört.
    (Allerdings habe ich ein Papier,
    das beweist, dass er mir nicht gehört –
    aber das sage ich nicht.)
    Dieser Wolf will eine Unsumme für Amir.
    Ich könnte sie nicht mal bezahlen, wenn ich meinen gesamten Lohn
    ein ganzes Jahr lang sparen würde.
    Während dieses schrecklichen Feilschens
    spüre ich immerzu Amirs Blick auf dem Hinterkopf.
    Ich kann seine Gedanken förmlich hören:
    Armer alter Ramón, jetzt handelt er schon mit Sklaven,
    statt sie nur nach Kräften herumzukommandieren!
      
    Verzweifelt
    Ich bringe Hafis zurück zu dem Stand,
    an dem ich ihn gekauft habe.
    Als der Händler
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