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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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an ihn.«
    »Oh, großer und mächtiger Hafis«
    (ich übertreibe bewusst),
    »welches ist das kostbarere Geschenk –
    das Buch oder der Dolch?«
    Amir schließt die Augen
    und öffnet eine Seite,
    zeigt mit dem Finger auf eine Stelle.
    Er spielt mit meiner Geduld.
    Mal wieder!
    Endlich liest er vor.
    Wieder schmunzelt er.
    Wie können dich zwei verschiedene Augen sehen, wie du bist?
    Jedes wird nach seinem Verständnis sehen.
    Das hat mir gerade noch gefehlt.
    Noch mehr Antworten, die keine sind.
      
    Silber
    Hier ist eine Frage, die ich,
    als ich das Wort Geschenk hörte,
    völlig vergaß.
    Für eine Weile.
    Wie, wenn wir doch zu arm sind,
    um unser Fleisch zu würzen,
    konnte Papa Geschenke kaufen?
    Mama sagt es mir.
    Ein Mann in Toledo
    kauft alle möglichen Sachen.
    Papa hatte ihm etwas zu verkaufen –
    einen Satz Pessach-Teller aus Silber.
    Sie hatten seit Generationen
    seiner Familie gehört.
    Seine Mutter, meine Oma,
    hatte sie ihm vermacht.
    »Keine Sorge, Ramón«, sagt Mama.
    »Es ist schon recht. Besser sind sie
    bei seinem Freund aufgehoben, meinst du nicht?
    All solche Dinge werden uns am Ende
    ja doch abgenommen.«
    Aber Papa – der dieses Silber
    auf langen, einsamen Straßen
    allein auf einem Maultier bei sich trug,
    das so langsam geht, wie feuchter Sand rinnt!
    Er hätte gefangen oder getötet werden können!
    »Ich frage mich gerade …«
    Sie unterbricht mich lächelnd.
    »Am besten machst du schon mal ein paar Fingerübungen. Deine Hände
    sind schlaff geworden, und jetzt fängt die Arbeit an.«
    Ich erfahre bald, was sie meint.
    Das Buch und das Messer
    sind nicht die gesamte Ausbeute.
    Er hat auch Papier mitgebracht –
    so viel wie mein halbes Körpergewicht.
      
    Silber (2)
    Um die Wahrheit zu sagen
    fühle ich mich, als sei ein Amboss,
    der mir auf der Brust lag,
    hochgehoben
    und weit weggeworfen worden.
    Diese Silberteller müssen es
    gewesen sein, die Papa in diesem
    Loch verstaut hatte.
    Und sie sind weg!
    Aber warum immer diese Kratzgeräusche?
    Es ist klar, warum er sie versteckt hatte.
    Menschen werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt,
    nur, weil sie solche Dinge besitzen.
    Was ich nicht verstehe, ist,
    warum er sie so oft
    aus ihrem Versteck hervorgeholt hat.
    Ging es um irgendein Ritual,
    ein ketzerisches Gebet?
    Aber was immer es war,
    es ist vorbei.
    Unbekannte Oma, vergib mir.
    Die Teller waren vielleicht
    kostbar für dich
    und deine Erinnerung.
    Aber ich bin froh, dass sie weg sind.
      
    Bestellung
    Diese Arbeit soll Papas
    gefährliche Reise wert gewesen sein?
    Das wunderbare, glatte Papier
    kam zusammen mit einer Bestellung, die es füllen soll.
    Ich sollte jubeln.
    Es ist unser größter Auftrag
    seit mehr als einem Jahr.
    Einhundert Abschriften
    von einem Buch, das sicher das langweiligste
    im ganzen Königreich ist.
    Es heißt – seid ihr bereit? –
    Die einheimischen Pflanzen von Kastilien .
    Früher war ich sauer,
    wenn Amir an unserer
    spärlichen Schreibarbeit teilhatte.
    Jetzt denke ich anders.
    Für diese Aufgabe
    werde ich gerne jede Hilfe annehmen,
    die ich bekommen kann.
      
    Autodafé (2)
    Diesmal ist es anders.
    Es gibt kein Gerüst
    auf dem gesteckt vollen Platz.
    Keine gigantischen Puppen – als Ersatz
    für die Männer, die sie nicht finden können –
    hängen an einem Baum.
    Diesmal
    wird kein Fleisch verbrannt.
    Das ist ein Autodafé
    für verbrecherische Bücher.
    Ein Versteck ist gefunden worden,
    in den Wänden einer Mikwe –
    eines alten jüdischen Ritualbades.
    Bauleute rissen das Gebäude ab,
    um Raum zu schaffen
    für eine weitere Kirche.
    Hunderte von Büchern werden zum Platz gekarrt,
    Mönche schreien die Wagen an, als wären sie
    böse kleine Buben.
    Die Leute johlen und lachen laut
    wie sonst auch immer.
    Sie wollen ihre kalten Hände
    an den Flammen des Feuers wärmen.
    Aber es ist nichts lustig.
    Aus den Haufen schimmert das Gold
    alter Torarollen – und die Tora ist
    das heiligste Buch der Juden.
    Papas Gesicht ist wie aus Stein.
    Aber da – eine leichte Bewegung
    gleich unterhalb seiner Schulter.
    Seine Tunika erzittert
    von seinen Herzschlägen
    wie ein Vorhang
    in einem sanften, tödlichen Wind.
      
    Partner
    Als es Zeit für die Siesta ist,
    ist meine Hand so verkrampft
    von den Pflanzen von Kastilien ,
    dass ich mir lieber die Augen ausstechen würde,
    als noch Papier und Tinte anzurühren.
    Papa und Amir
    sehen die Dinge anders.
    In jeder Siesta verziehen sie sich
    in Papas Zimmer.
    Um zu »üben«, wie sie
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