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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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Abdruck, obwohl sie die Haut ein bisschen eingedellt hatte.
    Der Fußballen fühlte sich an wie ein vom Wasser geschliffener Kiesel. Lóa strich mit dem Finger über die nach innen gewölbte Fußsohle und spürte ein Kribbeln in ihren Beinen, die nach dem nächtelangen Sitzen in der engen Hose immer noch taub waren. Es war offensichtlich, wozu die Puppen gemacht waren, und Lóa konnte nicht anders, als zwei Finger in die Scham zu stecken; sie war weich und fest und fühlte sich ein bisschen kalt an.
    Lóa hätte die Puppen gerne fertig gesehen, ihr Haar berührt, gewusst, wie echt sie wirken würden. Sie schaute sich in der Halle um und entdeckte an einer Wand eine längliche Holzkiste. Zwei Eisenbügel, der eine auf dem Deckel und der andere an der Kiste, steckten ineinander, anscheinend für ein Vorhängeschloss bestimmt. Aber da war kein Vorhängeschloss.
    Lóa hockte sich neben die Kiste und hob den Deckel an. Wieder schlug ihr das Herz bis zum Hals, und ihr Puls pochte in ihren Fingern. Sie war sich nicht sicher, wie es sich anfühlen würde, dem starren Blick einer fertigen Puppe zu begegnen, und wollte die Kiste schon wieder schließen, bevor sie richtig
hineingeschaut hatte. Sie sollte endlich ins Auto steigen und nach Hause zu Margrét fahren. Und zu Ína, die sich überhaupt nicht wohl fühlte, wenn sie mit ihrer Schwester alleine war. Lóa hatte ihr hoch und heilig versprochen, dass das nicht noch mal vorkommen würde. Aber jetzt konnte sie einfach nicht anders, als die Kiste weiter zu öffnen. Sie würde bestimmt keine andere Gelegenheit mehr dazu bekommen, und fünf Minuten mehr oder weniger machten für die Mädchen jetzt auch keinen Unterschied.
    In der Kiste hätten mindestens drei Puppen Platz gehabt, aber darin lag nur eine. Sie schwamm in weißem Styropor, in einem Meer aus weißen Kügelchen, die aussahen wie frische Hagelkörner und an den reglosen Händen hinaufkrochen und am Kleid festklebten. Ihre Haut war fast genauso weiß wie das Styropor, ihre Haare glatt und tiefschwarz, ihr Gesicht merkwürdig vertraut und ihre rosa Lippen leicht geöffnet.
    Lóa spürte ihre Hand deutlich zittern, dennoch wirkte sie ganz ruhig, als sie sie ausstreckte, um ein Auge zu berühren. Es war aus Glas und fühlte sich kalt an, obwohl es nicht tot oder kalt aussah. Lóa hatte sich davor gefürchtet, dem leeren Blick der Puppe zu begegnen, aber jetzt graute ihr, weil er so lebendig wirkte, als schienen die Augen sich zu bewegen und die Lider mit den schwarzen, gebogenen Wimpern zu zucken. Sie berührte auch den Mund und stellte fest, dass die Puppe keine Zähne hatte, aber das Plastikmaterial in der Mundhöhle sanft nachgab, genauso wie die Vagina der anderen Puppe an der Decke, wobei Vagina vielleicht nicht die richtige Bezeichnung war. Eine seltsame Vorstellung, dass die Puppe zahnlos war, denn die jugendliche Fülle ihres Gesichts ließ wirklich nicht darauf schließen.
    Das Kleid aus rosa, halbtransparenter Seide mit dünnen
Schulterträgern fiel in einem weichen Bogen über die Brüste, die vibrierten, wenn man sie berührte, und etwas fester waren als ihre natürlichen Vorbilder. Unter der Seide zeichneten sich ein Büschel schwarzer Schamhaare sowie Brustwarzen ab, die rosa anstatt hautfarben waren wie bei ihren unvollendeten Schwestern.
    Lóa wunderte sich darüber, wie dick der Po und wie breit die Oberschenkel waren. Die Puppe in der Kiste war kurviger und weiblicher als die meisten Frauen aus Fleisch und Blut.
    Sie musste an Margrét denken und spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte. Tränen verzerrten ihren Blick, so als seien ihre Augen wie die der Puppe – aus dickem Glas.
    Wenn Margrét die Puppe bei sich hätte, wäre ihre Einsamkeit vielleicht nicht mehr so schmerzhaft. Die Puppe könnte womöglich dazu beitragen, dass sie ihre Isolation durchbrechen und sich zurück in die Welt tasten könnte.
    So behandelte man doch Phobien. Wer krankhafte Angst vor Spinnen hatte, wurde erst mit Plastikspinnen vertraut gemacht und dann mit lebendigen Spinnen konfrontiert, die schnell in unvorhersehbare Richtungen liefen. Und Margrét litt doch an Körperablehnung und Lebensablehnung. Ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber allen möglichen Dingen. Einer Puppe konnte man zwar nicht unbedingt vertrauen, aber auch nicht misstrauen. Sie wartete immer dort, wo man sie zuletzt abgelegt hatte, und verhielt sich nie so, dass es einen überraschte.
    Margrét hatte sich vom Leben abgewandt, weil sie nicht von ihm
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