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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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überrascht werden wollte. Niemand konnte ihr klar machen, dass ihre Reaktion widersprüchlich und sogar falsch war. Vielleicht gelang der Puppe das, was allen anderen misslungen war, und sei es nur durch das Vorbild ihres Sex-Appeals. »Sieh mich an, ich bin ein Abbild der perfekten, gesunden Frau.«

    Etwas in Lóa ging entzwei, wie wenn ein Schnürsenkel reißt oder eine Feder bricht. Alles, bis auf Ínas und Margréts fragilen Lebenswillen, war ihr plötzlich egal; sie dachte noch nicht mal darüber nach, was so ein Ding kostete, brandneu, mit rosa Seide ausstaffiert und in zwanzig Liter Styropor gebettet, das aussah, als sei es bei einem Kälteeinbruch im Januar vom Himmel gefallen. Sveinn konnte eine neue Puppe machen. Viele neue, die genauso aussahen wie diese.
    Das Rascheln der Styroporkugeln erinnerte an flüsternde Stimmen, aber sie klangen nicht warnend oder tadelnd, als Lóa einen Arm unter die Kniekehlen der Puppe und den anderen unter ihren Rücken schob. Sie wollte die Puppe hochnehmen, konnte sie aber nicht bewegen, denn sie war viel schwerer, als sie gedacht hatte, wie mit Sand gefüllt, und Lóas Rücken schmerzte vor Anstrengung. Sie massierte ihre Wirbelsäule an der Stelle, von der der Schmerz ausging, stellte sich an das Kopfende der Puppe, packte sie unter den Achseln und zog sie halb aus der Kiste. Indem sie ihre Finger unter den Brüsten der Puppe ineinanderkrallte, fand sie besseren Halt und brachte die Puppe schließlich in eine sitzende Position.
    Ein Schauer lief über Lóas schmerzenden Rücken, weil die Berührung der Puppe so sehr an die Berührung eines lebendigen Menschen erinnerte und weil sie einfach sitzen blieb, wie ein krankes Mädchen, dem man geholfen hatte, sich im Bett aufzusetzen.
    Da bemerkte Lóa die kleine Box am anderen Ende der Kiste: ein schwarzes, mit Samt bezogenes Kästchen, halb begraben vom Styroporhagel. Es war nicht verschlossen und beinhaltete eine Flasche Gleitmittel, ein Gläschen rosa Nagellack und einen Zettel. Lóa faltete ihn auseinander und las:
    Haare/Hair:
Goth-Chick Alma
Gesicht/Face:
Lovely
Körpermodell/Body-type:
1
Schamhaare/Bush:
Schwarz, unrasiert / Black, whole
Lippen/Lips:
Rosarot/Natural Pink
     
    Sie faltete den Zettel wieder zusammen, packte das Kästchen ein und musterte die Puppe, die immer noch dasaß, als wartete sie darauf, hochgehoben und mitgenommen zu werden. Aber natürlich war sie nicht in der Lage, auf etwas zu warten oder etwas zu wollen, und aus dieser Entfernung betrachtet war ihr Gesichtsausdruck unendlich leer. Lóa schoss durch den Kopf, dass ihr Plan nicht nur falsch, sondern auch dumm war. Das hier war etwas anderes, als ein Feuerzeug oder einen Kugelschreiber mitgehen zu lassen, eher so, wie eine Hauskatze oder ein teures Gemälde zu stehlen.
    Doch die Welt stand und fiel nicht mit Gemälden und Hauskatzen.
    »Ich bringe sie später zurück«, dachte sie. »Ich bringe sie zurück, wenn es Margrét besser geht. Dieser Sveinn weiß ja nicht, wie ich heiße oder wo ich wohne. Er wird fluchen und gegen Dinge treten, bittere Schlüsse über die versoffene Frau ziehen, die zu blöd war, einen Reifen zu wechseln – und die Sache dann vergessen.«
    Lóa schaute sich nach Verpackungsmaterial um und entdeckte eine durchsichtige, mit weißen, transparenten und hautfarbenen Flecken verschmierte Plastikplane auf dem Boden unter den trocknenden Rümpfen. Sie breitete die Plane hinter der Puppe aus und betastete die Flecken, um sicherzugehen, dass sie eingetrocknet waren, kümmerte sich aber nicht um den
weißen Staub, der jedes Mal, wenn sie das Plastik bewegte, in dicken Wolken aufstob. Dann packte sie die Puppe unter den Armen, hievte sie mit einem Ruck über den Rand der Kiste und legte sie rücklings auf die Plane. Die Beine der Puppe ragten in die Luft, aber das war besser, als wenn ihre Fersen über den Boden schliffen und an den Türschwellen hängenblieben. Das Kleid rutschte allerdings schamlos nach oben, und die Puppe kippte wegen des Gewichts ihrer Beine auf die Seite.
    Die Plane glitt wie ein Schlitten auf Schneeharsch über den betonierten Boden, mit Quietschen und Knistern, das an Lóas angespannten Nerven zerrte und ihre Ohren und die verkrampften Schultern schmerzen ließ.
    Der Flur war dunkel und zu eng für diesen ganzen Lärm. Wenn der Hausherr davon nicht aufwachte, war er entweder krank oder stand unter Medikamenten. Trotzdem kam aufgeben nicht infrage.
    »Ist mir scheißegal«, dachte Lóa immer wieder
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