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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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zusammenhanglos, als seien diese Worte der Brennstoff, den man brauchte, um die Puppe das letzte Stück zu ziehen, durch die Küche, über die Schwelle an der Haustür, über den gepflasterten Weg zum Parkplatz.
    Neben ihrem Wagen stand ein weinroter Pick-up, der dem Puppenmacher gehören musste. Ein Dodge Ram. Eine Marke, von der ihr Vater entweder hellauf begeistert gewesen wäre oder die er nicht hätte leiden können. Lóa wusste es nicht mehr genau, nur, dass solche Autos bei dem alten Haudegen eine gewisse Sentimentalität ausgelöst hatten.
    Sie streckte sich, froh über das Tageslicht, das im Vergleich zu dem blauweißen Schein der Neonlampen schön gelb war, und stützte sich am Wagen ab, um ihren Rücken zu entlasten. Die verdammten Schlüssel lagen noch auf dem Küchentisch.
Und ihr Handy. Und genau in dem Moment hörte sie es klingeln. Natürlich war Ína aufgewacht und würde jetzt auch den Puppenmacher wecken.
    Lóa drückte die Beine der Puppe auf den Boden, bedeckte sie hastig mit der Plane und rannte dann zurück zur Haustür – sie hatte vergessen, darauf zu achten, sie nicht ins Schloss fallen zu lassen. Lóa hielt die Luft an und griff nach der Türklinke.
    Sie bewegte sich nicht.
    Lóas Magen drehte sich um, und sie spürte, wie sich Tränen in ihrer Kehle und hinter ihren Augen aufstauten, so dass sie Schwierigkeiten hatte, sie offen zu halten. Wieder packte sie die Klinke, drückte kräftig gegen die Tür, die jetzt mit leisem Knarren aufging, fiel fast in die Küche und griff nach ihren Schlüsseln und ihrem Handy, doch es war stumm wie der ganze Frühlingsmorgen. Es hatte nicht geklingelt. Das Display zeigte 7:09.
    Sie rannte wieder nach draußen, zog die Tür diesmal nicht hinter sich zu, öffnete mit zitternden Händen, in denen die Schlüssel rasselten, den Kofferraum, wickelte die Puppe in die Plane ein, hievte sie mit größter Anstrengung in den Wagen und brauchte eine ganze Ewigkeit, um sie in die richtige Position zu bringen – zusammengekrümmt und wenigstens größtenteils mit Plastikplane bedeckt. Jedes Mal, wenn Lóa aufschaute, meinte sie, einen Schatten an der Tür zu sehen, und sie schaute ständig auf, denn ihre überdrehte Fantasie verwandelte jedes Knacken in sich nähernde Schritte.
    Als sie den Kofferraum vorsichtig zugemacht und die Klappe mit beiden Händen hinuntergedrückt hatte, bis es klackte, setzte sie sich ans Steuer und versuchte, ihren ruckartigen Atem zu beruhigen. Dann fiel ihr ein – es war wie ein Schlag gegen die Brust –, dass ihr Mantel noch im Wohnzimmer auf dem Boden lag.

    Lange schaute sie zur offenen Haustür und schickte sich mehrmals an, aus dem Wagen zu steigen, zögerte aber jedes Mal. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, ob sich noch etwas in den Manteltaschen befand, und versicherte sich dann, dass sie nichts außer dem Handy und dem Schlüsselbund mit ihrem Hausschlüssel und ihrem Autoschlüssel dabeigehabt hatte, der jetzt im Zündschloss steckte und nur leicht hin- und herschwang, aber dennoch genug, um ihr Unbehagen zu verstärken. Mit Mühe ließ sie den Wagen an, denn aus ihren Fingern war jegliche Kraft gewichen. Sie legte den Rückwärtsgang ein und trat fest aufs Gaspedal. Zu fest. Der Wagen ruckelte und ging dann aus.
    Mit einem lauten Schluchzen brachen ihre Tränen hervor, und sie drehte den Schlüssel erneut, obwohl sie am liebsten den Kopf aufs Lenkrad fallengelassen und hemmungslos geweint hätte, bis jemand sie gefunden und an einen Ort gebracht hätte, an dem sie sich hätte ausruhen können, am besten im Schutz einer hoch gewachsenen Dornenhecke oder in einem gläsernen Sarg mit schwerem Deckel.
    Lóa setzte zurück auf die Straße, fuhr los und wunderte sich darüber, dass der Wagen auf der Straße blieb, dass er nicht in einen Graben schlitterte oder explodierte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas gestohlen zu haben, außer als Jugendliche Zigaretten und Kleingeld aus den Taschen und Geldbörsen ihrer Eltern, und ihre Panik, sich durch den Puppendiebstahl aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu haben, war größer, als sie sich vorgestellt hatte. Sie warf einen kurzen Blick zurück – die Haustür stand immer noch weit offen, doch der Hausherr war nirgends zu sehen. Lóa konnte kaum glauben, dass sie es geschafft hatte, aber anstatt erleichtert zu sein, packte sie die Angst, und die weite Landschaft um sie herum wurde weißglühend
und bedrohlich. Man hätte meinen können, ihr Ziel sei gar nicht gewesen, etwas
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