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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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der mich ansehen würde, zu Tode erschrocken. Es ist unnatürlich.»
    «Ich kann mir nichts Natürlicheres vorstellen», sagte er leichthin. «Erinnerst du dich noch an den Bettknauf des Professors?»
    Sie lachte. «Oh, Graham, du bist schrecklich!»
    «Komm doch!» drängte er, so eifrig, wie er sie vor zwanzig Jahren von der Schreibmaschine weggezogen hatte.
    « Nein, Graham!»
    «Aber Edith, mein Engel. Denk nur. Morgen früh können wir beide schon tot sein.»
    Dieses Argument siegte schließlich. Während der nächsten fünfeinhalb Jahre erlag ihm eine ganze Armee von Frauen.
    «Was ist mit Vorsichtsmaßnahmen?» erinnerte sie sich, als sie ins Bett gingen, nachdem sie sorgsam die Verdunkelungsvorhänge zugezogen hatten.
    «Aber wir müssen uns doch darüber keine Sorgen machen?»
    «O ja, wir müssen!» Sie klang beleidigt. «Ich bin noch nicht vierzig, wenn du nichts dagegen hast. Es kommt noch jeden Monat, so regelmäßig wie die Milch am Morgen.»
    Er küßte sie. «Wann hat der Milchmann zuletzt geliefert?»
    «Gestern war ich fertig.»
    «Dann können wir es riskieren.»
    «O Graham! Bist du sicher, daß es gutgeht?»
    «Ich bin der Doktor», sagte er ihr voll Autorität.
    Sie fügte sich. Ihr ganzes Leben lang befolgte sie die Vorschriften der Ärzte.

35

    Sie erwachten beide früh. Graham mußte ins Blackfriars Hospital und Edith in den Temple gehen, wo ihr Anwalt damit beschäftigt war, seine Kanzlei nach Ascot zu verlegen. Graham zog eben seine
    Jacke an, als es läutete. Er winkte Edith ins Schlafzimmer und ging in die Halle.
    Zunächst erkannte er den Besucher draußen nicht. Er trug eine Militärmütze mit rotem Band. An seiner Hüfte hing die Leinenhülle einer Gasmaske. Er hatte Handschuhe und eine Art Stock. Der Trenchcoat war möglicherweise derselbe, in dem er seinen Besuch in Primrose Hill gemacht hatte.
    «Trevose, ich muß Sie bitten, zu entschuldigen, daß ich unangemeldet komme», entschuldigte sich Haileybury. «Wie alle anderen bin ich im Augenblick schwer beschäftigt. Ich bin eben auf dem Weg ins Kriegsministerium.»
    Der erstaunliche Wandel ließ Graham verstummen. Er öffnete schweigend die Tür. Haileybury legte Mütze und Trenchcoat ab und enthüllte einen Schulterriemen, rote Kragenspiegel und diverses Messingzubehör auf den Schultern. Graham nahm an, Haileybury müsse mindestens Brigadier sein. Der Mann, den Graham seit zwanzig Jahren verachtet hatte, gehörte seit seinem Kostümwechsel zur Elite seines Landes. Nichts anderes brachte ihm so scharf zu Bewußtsein, daß Großbritannien wirklich Krieg führte.
    «Kommen Sie bitte weiter.» Graham führte seinen militärischen Besucher in den Salon. «Ich muß mich für die Unordnung entschuldigen. Ich ließ mein Personal aufs Land gehen.»
    «Ja, Trevose, nun ist es also geschehen.»
    Haileybury stand steif in der Mitte des Zimmers. Selbst sein Gesicht hatte sich verändert. Die Ausstattung schien den Mann übernommen zu haben. Seine Augen blitzten, seine dünnen Wangen glühten über seinem Khakikragen, sein Ausdruck glich dem eines Märtyrers, der vor den Qualen dieser Welt bei den ihm gemäßeren Tröstungen des Himmels Zuflucht sucht. Nun, da er mehr Männer und mehr Material befehligte, als er je zu träumen gewagt hatte, sah er die kleinlichen Kämpfe und Enttäuschungen seines Lebens als bloße Vorbereitungen für den zweiten Ruf zu den Waffen. Die Vergangenheit war belanglos geworden, etwas, das man mit elegischem Vergnügen betrachten konnte, wie den eigenen Paß. Er war bereit, die Tafel reinzuwaschen, im neuen Rahmen der Gesellschaft neu anzufangen - wo er an der Spitze stand, wie jedermann aus seiner Aufmachung entnehmen konnte.
    «Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?» fragte Graham. Haileybury schüttelte langsam den Kopf. «Trevose, wir beide haben neulich die Nerven verloren.»
    «Es war kein besonders angenehmes Zusammentreffen für mich. Ich weiß nicht, ob es das für Sie war.»
    «Nein, es war ganz und gar nicht angenehm. Sie wissen, daß es mir kein Vergnügen machen könnte, einen Mann zu demütigen, den ich so lange kenne? Einen Kollegen vom selben Fach? Sicher nicht! Denken Sie bitte das nicht von mir. Ich habe nur meine Pflicht getan.»
    «Ja, gewiß», sagte Graham kurz. Er zündete sich eine Zigarette an.
    «Wir haben Krieg.» Haileybury starrte düster auf seine großartig polierten braunen Schuhe. «Es ist etwas Dummes, das die Welt da auf sich geladen hat. Aber ich hatte nie eine besonders hohe
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