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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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ein Patient sterben würde. Die Aussicht war zermürbend irritierend. Schließlich war es recht bald nach dem Ende des Krieges, der alle Kriege hatte beenden sollen. Er nahm an, sie würden wieder in einer trübsinnigen Welt bedrückender Verlustlisten, Lazarettkleidung, Landesverteidigungsgesetze, Versammlungen auf dem Trafalgar Square, panischer Angst vor Spionen, U-Booten, Mädchen in Munitionsfabriken und patriotischen älteren Damen leben. Es würde natürlich furchtbare Luftangriffe geben, wie in Spanien, aber abgesehen davon würde alles mehr oder weniger sein wie gehabt. Diese Ansicht über den Zweiten Weltkrieg wurde von fast allen geteilt, die den ersten erlebt hatten, einschließlich der alliierten Generale.
    Grahams Gleichgültigkeit wurde noch dadurch gesteigert, daß er allein im Haus war. Köchin und Dienstmädchen waren für dieses bedeutsame und möglicherweise gefährliche Wochenende nach Hause geeilt. Die steigende Flut der Ereignisse hatte eineinhalb Millionen Schulkinder aus London fortgeschwemmt, und er hatte beschlossen, Desmond in das Landhaus bei Dorset zu schicken. Desmond hatte sich dagegegen gewehrt, das sei Drückebergerei. Im Gegensatz zu seinem Vater im Jahr 1914 wußte er schon, daß er der Frontlinie entkommen würde, da Medizinstudenten unter die «reservierten Berufe» gerechnet wurden und es ihnen ebenso strikt untersagt war, Waffen zu tragen, wie Ausländern, Bergarbeitern und ältlichen Landarbeitern. Graham sagte, er solle Alec zur Gesellschaft mitnehmen, und betonte, wieviel Spaß sie dabei haben würden, sich selbst zu versorgen. Sie könnten schwimmen, soviel sie wollten - oder soviel Desmond wollte, da Alecs respiratorische Unzulänglichkeiten ihn zu einem ausschließlichen Landtier gemacht hatten. Sie könnten sich sogar in den Gasthäusern der Gegend vergnügen, wenn auch nicht mit den Mädchen. Desmond kam zu der Überzeugung, daß die Evakuierung vielleicht doch keine so schlechte Idee sei. Und Alec wäre immerhin jemand zum Necken, obgleich er wirklich ein fader Kerl war und mit seinem Schnaufen im Schlafzimmer fürchterlichen Lärm machen würde.
    Der Krieg aber nahm in Grahams Bewußtsein den zweiten Platz ein, nach Stella und Haileybury. Ein Mensch mit genügend starken Zahnschmerzen braucht kaum ein Erdbeben. Er hatte seinen Anwälten Haileyburys Drohung mitgeteilt, und sie äußerten sich entmutigend. Wenn eine Beschwerde an das General Medical Council gerichtet wurde, mußte es anscheinend in Aktion treten, so unausweichlich, wie eine dampfende Lokomotive puffen mußte, wenn man auf den entsprechenden Hebel drückte. Sie schlugen vor, einen Verteidiger zuzuziehen, der auf standeswidriges Verhalten von Ärzten spezialisiert war, und Graham stimmte zu, obgleich es ihn verdroß, einen Mann zu Hilfe zu rufen, der Hintertreppenärzte, die verbotene Eingriffe vornahmen, Rauschgiftsüchtige, Trinker, Kundenwerber und die unseligen Opfer erzürnter Ehemänner vor dem Ruin bewahrt hatte. Er ging nach Hause und zählte seine materiellen Besitztümer auf, die lächerlich genug waren. Er rief Stella immer wieder an, erhielt aber keine Antwort. Er begann nachts mit Schmerzen in der oberen Bauchgegend aufzuwachen und fürchtete, sich vor lauter Sorgen ein Zwölffingerdarmgeschwür zugezogen zu haben.
    Er war noch in der Badewanne, als die Türglocke läutete. An jenem Sonntagmorgen konnte das alle nur denkbaren furchtbaren Dinge bedeuten — einen Luftschutzwart, der seine Vorhänge inspizierte, eine bewaffnete Patrouille, die nach Spionen suchte, einen Kurier mit einer Vorladung zu irgendeinem mysteriösen Hauptquartier. Er trocknete sich flüchtig ab und schlüpfte in seinen scharlachroten seidenen Morgenrock. Er erinnerte sich schuldbewußt, daß ein Jagdgewehr und ein Feldstecher in seinem Schrank hingen. Auch nur eines davon zu besitzen, könnte ihn leicht für die Dauer des Krieges ins Gefängnis bringen, fürchtete er.
    «Oh!» rief Edith. «So spät aufgestanden! Und das an einem Morgen wie heute. Ich dachte, du wärst auf Abruf im Krankenhaus.»
    «Sonntagmorgen ist Sonntagmorgen, ob Krieg oder Frieden», lächelte Graham.
    «Sind die Burschen schon fort? Alec drückt sich am Telefon nie klar aus. Ich bringe ein paar von seinen Sachen.»
    Graham hatte Edith in den fünf Jahren seit ihrer Heimkehr in Witwenkleidern nur wenig gesehen. Er war reich geworden (aber extravagant) und berühmt (aber von seinen Kollegen verachtet), während sie in die demütige
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