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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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ertragen konnte, sich an die Episode zu erinnern. Und Haileyburys Motive für die Begnadigung begannen ihn zu verfolgen. Es war Krieg, Ärzte wurden gebraucht, weil Männer und Frauen getötet und verstümmelt werden würden - Männer und Frauen, nicht «Fälle».
    Er schauderte bei dem Gedanken, daß Desmond möglicherweise unter diesen Opfern sein könnte. Wer wußte denn, wie lange der Krieg dauern würde, ob sein Sohn als Regimentsarzt mitgerissen und an die Front geschickt werden würde wie einst Robin. Er gelangte zu der bitteren Einsicht, daß sein Verhältnis zu Desmond ganz falsch war. Natürlich hatte er die materiellen Bedürfnisse des jungen Mannes großzügig erfüllt und war stolz darauf gewesen, ihm mehr ein älterer Bruder als ein Vater zu sein. Aber darauf kam es nicht an. Junge Menschen brauchten keine älteren Brüder, sie brauchten Väter. Was dachte Desmond von ihm? Eine Quelle von Annehmlichkeiten ohne Liebe, Kameradschaft ohne Autorität. Gefühle der Unzulänglichkeit und des Versagens bedrückten ihn so schwer wie nach Marias Selbstmordversuch. Es war alles sehr demütigend, und das Schlimmste war, daß er niemanden dafür verantwortlich machen konnte als sich selbst - nicht einmal Haileybury.
    Wenn ihm nur irgend jemand einen Auftrag geben würde, irgend etwas zu tun. Dann könnte er vielleicht nicht nur in Desmonds Augen eine eindrucksvolle Figur abgeben, sondern auch in seinen eigenen. Haileybury proklamierte seinen ungeheuren Wert für sein Land einfach dadurch, daß er in seinen neuen Kleidern herumspazierte. Graham Trevose, der erfahrene Chirurg, schien so wenig tauglich wie Graham Trevose, der kränkliche Student, im letzten Krieg. Er hatte das Gesundheitsministerium mehrere Male angerufen, aber niemand schien überhaupt zu wissen, wer er war. Er fühlte zermürbt, daß ihn sein schlechter Charakter für den Dienst Seiner Majestät völlig unfähig gemacht hatte. Wahrscheinlich geschah ihm nur recht. Er hatte sogar Haileybury angerufen, und die Auskunft erhalten, der Mann sei an irgendeinem geheimen Ort, was ihn mit Neid erfüllte.
    Graham war einer der ersten, der wiederentdeckte, wie tödlich es war, wenn der Krieg die gute Meinung eines Menschen von sich selbst zerstörte; Hitler sollte einer der letzten sein.
    Unter dem Holzstreben in einer Ecke der Unfallambulanz im Keller bemerkte Graham einige Paravents. Er schaute ohne besondere Absicht dahinter. Eine Gestalt auf einer Bahre, mit einem Laken bedeckt. Eine Leiche. Das erste Opfer des Krieges? Aus irgendeinem Grund zog er das Tuch zur Seite und fand sich seinem eigenen Werk gegenüber. Lilly war tot.
    «War sie eine Patientin von Ihnen, Sir?» Ein junger Turnusarzt in kurzer weißer Jacke, den Graham nie zuvor gesehen hatte, erschien hinter ihm.
    «Eher eine alte Freundin», sagte er mürrisch. Er ließ das Laken zurückfallen. «Ich habe fast drei Jahre lang an ihr gearbeitet. Was ist passiert?»
    «Sie wurde tot eingeliefert, Sir. Man hat sie in ihrem Kamin zu Hause gefunden. Sie gab kein Lebenszeichen mehr, als man sie hereinbrachte.»
    «Viele Brandwunden?»
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. «Ich habe Einatmen von Erbrochenem als Todesursache notiert. Wir werden bei der Obduktion sehen.»
    «Wahrscheinlich war sie betrunken.» Graham seufzte. «Wenn ich ein wenig Zeit darauf verwendet hätte, zu versuchen, sie vom Trinken zu heilen statt ihre Brandwunden zu heilen, wäre jetzt nicht die Arbeit von drei Jahren verloren. Wie heißen Sie?» fragte er plötzlich.
    «Fordyce, Sir.»
    «Was halten Sie von mir, Mr. Fordyce?» Der junge Mann blickte verlegen. «Was fällt Ihnen bei meinem Namen ein? Ein Repräsentant eines Zweigs der Chirurgie, der hohe Geschicklichkeit, Geduld und Phantasie erfordert? Oder ein Quacksalber? Ein Mann, der häßlichen Mädchen neue Nasen macht und die Gesichter abgetakelter Schauspielerinnen spannt? Bin ich ein Umformer hagerer Brüste oder der Mann, der mehr über die Behandlung von Verbrennungen dritten Grades weiß als irgend jemand sonst im ganzen Land? Na? Was sagen Sie, Mr. Fordyce?»
    Der Turnusarzt fühlte sich noch unbehaglicher. Aber die Plastikburschen waren völlig verrückt, jeder wußte das.
    «Ich glaube, Sie sind ein sehr geschickter Chirurg, Sir.»
    «Warum sagen Sie das?»
    «Weil... weil Sie im Blackfriars Hospital sind, Sir.»
    Graham lachte laut. Die Gegenwart der Toten störte ihn nicht. «Mr. Fordyce, Sie haben die richtige Einstellung. Bleiben Sie dabei, und Sie werden
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