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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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rechte und ließ ebenfalls ihren Rucksack fallen. »Überlass uns die Arbeiter!«
    Zum ersten Mal war ich froh, sie an meiner Seite zu wissen. Die beiden Mädchen ließen den verängstigten Baggerfahrer von seinem Sitz schweben, genau rechzeitig, bevor das Fahrzeug unter ihm zu ruckeln und zu buckeln begann. Als sie den Mann auf dem Boden absetzten, fiel ihm sein verschrammter Schutzhelm vom Kopf; und Fedora schoss darauf zu wie ein Kätzchen, das einem Wollknäuel hinterherjagt.
    Sie stibitzte den Helm und kam damit schnurstracks zu mir gerannt. Dann legte sie ihre schmutzigen Finger auf meine Schulter, beugte sich herunter und flüsterte mir ins Ohr: »Achte auf deine Sicherheit, Ledger! Sei kein Schelm, trag einen Helm!«
    Obwohl ich weiter ganz gebannt bei meiner Aufgabe blieb, spürte ich, wie Fe mir den Schutzhelm aufsetzte und einen Kuss obendrauf pflanzte. Dann flitzte sie zu Samson; er kniete auf dem Boden und hielt unseren geschwächten Opa im Arm.
    Ich wollte Opa zurufen, dass er noch ein bisschen länger durchhalten sollte, aber ich hatte meinen Schimmer schon so nur mit Mühe im Griff, da konnte ich es nicht riskieren, auch nur einen Bruchteil meiner Aufmerksamkeit davon abzuziehen.
    Ich konzentrierte mich auf die zersprengten Einzelteile der völlig demolierten Maschinen. Sah zu, wie sie ihre Gestalt änderten und sich verwandelten. Wie sie zu einer stetig wachsenden Gruppe von Bäumen mit Metallstämmen und -ästen verschmolzen – Ästen, denen Blätter aus Draht und Glas und Spiegelscherben entsprossen. Spiegel, die mein wahres Ich reflektierten, das, wozu ich gemacht war.
    Rund um das Insektenhaus formte ich Bäume; hohe, stolze Bäume. Jeder für sich eine starke, schützende Säule. Eine anmutige Skulptur. Bald gab es keine einzige Schraube oder Feder und kein einziges Stück Draht mehr, das nicht Teil meines Metallwaldes geworden war.
    Der Wind peitschte die verstreuten Blätter von Sarah Janes Notizblock vom Boden hoch. Einige von ihnen flogen weit in den Himmel. Andere klatschten gegen die Stämme der neuen Bäume und sahen genauso aus wie die abblätternde Rinde am Stamm der Birken von Sarah Janes Mutter.
    Zumindest für den Moment waren Spinnen, Käfer und Insekten in Sicherheit, und die größten Schmetterlinge der Welt hatten weiterhin fernab ihrer Heimat ein Zuhause. Nur die äußere Tür und der Eingang waren zerstört worden; die innere Tür hatte standgehalten. Und Mr Cabot konnte nichts mehr ausrichten. Der Großteil seiner Truppe hatte das Weite gesucht oder den Kopf eingezogen, sich ganz klein gemacht und hinter den einzigen Wagen geduckt, den ich stehengelassen hatte – den Pick-up, in den Mr Cabot Sarah Jane geschoben hatte. Allerdings hing SJ jetzt halb aus dem Fenster und stieß laute Jubelschreie aus.
    Mr Cabot hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Reglos wie eine Statue starrte er die hoch aufragenden künstlichen Bäume an, die einmal sein Firmen-Fuhrpark gewesen waren.
    Ich erhob mich langsam. Der metallische Geschmack in meinem Mund zerschmolz wie ein Lutschbonbon auf meiner Zunge.
    »Fein gemacht, Ledger. Sehr … sehr … fein.« Opas Stimme war so schwach, dass sie kaum bis zu mir drang. Als ich mich zu ihm umdrehte, hob er lächelnd die Hand. Ich erwiderte das Lächeln. Tränen brannten mir in den Augen. Dann zog ich den Schutzhelm ab, den Fedora mir gegeben hatte, und ließ ihn auf den Boden fallen.
    Marisol und Mesquite wandten sich Mr Cabot zu, der ängstlich einen Schritt nach hinten machte. Ich erwartete, dass die Zwillinge ihn vom Platz fegen, in die Luft wirbeln, durchschütteln und dann in den Fluss fallen ließen, in dessen neuem Bett er dann herumprusten und -planschen müsste. Aber sie taten es nicht.
    Stattdessen griffen sie tief in ihre Rucksäcke und zogen schwere, goldene Steine heraus, die in der Sonne funkelten. Bevor er auf die Idee kommen konnte, ihre mühevoll errungenen Reichtümer zurückzuweisen, stapelten sie sie auf Mr Cabots Arm – bis zum allerletzten Rest von dem, was sie bestimmt für den lange verloren geglaubten Schatz von Eva Mae Zaster hielten.
    Ich war verblüfft. Hatte Onkel Autry sich geirrt? Denn es sah ganz so aus, als wäre Opas Geschichte doch wahr gewesen. Vielleicht hatten ihre Versuche, mich zu unterrichten, ihr Karma am Ende wirklich aufgebessert.
    »Reicht das?«, fragte Marisol und wischte sich trotzig die Tränen aus dem Gesicht.
    »Reicht das, um alles zu begleichen, was Papi Ihnen schuldet?«, fügte Mesquite
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