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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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hinzu und putzte sich mit dem Handrücken die Nase. »Das ist bestimmt riesig viel wert. Ganz bestimmt!«
    »Nehmen Sie es!«
    »Bitte!«
    Die Zwillinge drückten Mr Cabot alles, was sie hatten, in den Arm, jedes noch so kleine Klümpchen aus ihren Rucksäcken. Und noch ein paar aus ihren Hosentaschen.
    Da er unmöglich noch mehr von den gelben Steinen festhalten konnte, beugte Mr Cabot sich vor, zog mit der freien Hand den Schutzhelm vom Kopf und ließ ihn von Marisol und Mesquite befüllen. Er schaute langsam von den Zwillingen zu mir und dann zu Gypsy, die aus dem Insektenhaus trat und entzückt unter den Baumskulpturen herumzutanzen begann.
    »Komm, Sarah Jane«, sagte er schließlich mit zitternder Stimme. »Wir sind hier fertig.« Cabot nickte den verbliebenen Arbeitern zu, und die sprangen unverzüglich in den Firmenwagen von Cabot – Ankauf und Abriss . SJ ließ sich widerstandslos von ihrem Vater zurück in die Fahrerkabine schieben. Aber als er den Motor anließ, warf sie mir einen langen letzten – halb entschuldigenden, halb dankbaren – Blick zu, und ich fragte mich, ob irgendetwas von dem, was gerade passiert war, es in die nächste Ausgabe ihrer Zeitung schaffen würde.
    »Warten Sie!«, rief ich, griff nach dem Rand des offenen Wagenfensters und lief nebenher, als Cabot anfuhr.
    »Sie müssen es ihr sagen!«, rief ich ihm zu. »Sie müssen ihr alles erzählen.«
    Cabot bremste gerade lange genug ab, um sich umzudrehen und seinen Blick von mir zu dem nagelneuen Wald aus Glas und Metall schweifen zu lassen. Seine Kiefer arbeiteten, als würde er Dörrfleisch kauen. Dann nickte er fast unmerklich. Ohne einen weiteren bösen Blick nahm er die Hand seiner Tochter und wendete, um sie nach Hause zu bringen.
    Während ich zusah, wie der Wagen – rumpeldipumpel  – die schmalste Stelle des reißenden Kanals überquerte, verspürte ich plötzlich eine Riesenerleichterung. Und das nicht nur, weil Mr Cabot wegfuhr.
    Ich war erleichtert, den Minivan zu sehen, der unter dem Windrad parkte – und Mom und Dad. Sie standen auf der anderen Seite des Flusses und suchten nach einer Möglichkeit, ihn zu überqueren. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so gefreut, meine Eltern zu sehen. Aber … hatten sie mich gesehen? Hatten sie gesehen, was ich gemacht hatte?
    Als Fedora die beiden ebenfalls erspähte, federte sie auf den Zehen auf und ab und brüllte laut: »Mom! Dad! Seht mal, was Ledge kann! Er kann Sachen bauen!« Während ihr Motorradhelm auf und ab hüpfte, boxte meine Schwester in die Luft und rief dabei: »Sa! Chen! Bau! En!« Und als Dad mit Mom an der Hand vorsichtig den Kanal überquerte, hob er den Arm und boxte ebenfalls in die Luft. Dann sah er zu mir und reckte beide Daumen hoch.
    Während wir darauf warteten, dass Rocket und Onkel Autry zur Ranch zurückkamen, traten Dad und Mom voll in Aktion und machten das, was Eltern immer tun – sie telefonierten, befühlten sorgenvoll die eine oder andere Stirn, zogen Augenbrauen hoch und scheuchten den Hund vom Bett. Ich trug Opas bunte Wolldecke auf die Veranda hinaus und breitete sie über seine zierliche Gestalt. Es war das erste Mal in diesem Sommer, dass ich einen Fuß in das Haus der O’Connells setzte, und es fühlte sich ein bisschen so an, als hätte ich einen Hafen gefunden, ein Wettrennen gewonnen und nach einer langen, gefahrvollen Reise die Schwelle zu einem Ort übertreten, an den ich endlich voll und ganz gehörte.
    Zäh wie Rohleder und sturer als ein zweihundert Jahre alter Maulesel, wie er nun mal war, hatte Opa noch nicht vor, seinen letzten Atemzug zu tun.
    »Ich glaube, ich habe nie meine Geschichte zu Ende erzählt …«, murmelte er, als ich die gestrickten Zickzacklinien um ihn herumlegte.
    »Schhh … Opa, ist schon gut«, erwiderte Mesquite und ließ ein Glas Wasser für ihn heranschweben.
    »Du hast uns gar keine Geschichte erzählt«, fügte Marisol leise hinzu und tätschelte Opas Knitterhand. »Ruh dich einfach aus.«
    »Nein, nein …« Opa hustete. »Ich muss meine Geschichte noch zu Ende erzählen.«
    »Welche Geschichte, Opa?«, fragte ich.
    Aber es war Samson, der mit heiserer Stimme antwortete: »Er möchte die Geschichte von Eva Mae Eldorado Zwei-Vögel Zaster zu Ende erzählen.« Samson saß neben Opa: Jeans, T-Shirt und lange Haare, die seine müden Augen verdeckten. Er sah aus wie ein ganz normaler sechzehnjähriger Junge. Ich blinzelte immer wieder und wartete darauf, dass er verschwinden
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