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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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Zuhause. Die Arbeiter hatten Gypsy nicht gesehen. Niemand wusste, dass sie da drin war.
    Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie die Planierraupen die von Opa in den Weg gepflanzten Felsbrocken einen nach dem anderen beiseiteschoben. Dann hockte ich mich hin, um in einem völlig neuen Wettkampf anzutreten. Ich drückte meine Finger abgespreizt auf den Boden und bereitete mich darauf vor, Schaufeln und Baggerarme in ihre Einzelteile zu zersprengen und Schrauben, Dichtungen und Ventile zu atomisieren. Ich würde Cabot stoppen. Wenn es sein musste, würde ich mit Bolzen und Raketen um die Krone des Zerstörerkönigs mit ihm kämpfen.
    In den Fingerspitzen und Handflächen spürte ich das ach so vertraute Kribbeln und Krabbeln wie bei all meinen bisherigen Schimmerattacken. Dann kam die Angst zurück und marschierte auf tausend winzigen Beinen durch mein Gehirn. Was, wenn ich die Kontrolle verlor? Ich stellte mir vor, wie ich Mr Cabot die Drecksarbeit abnehmen und das Insektenhaus auf die gleiche Weise zu Fall bringen würde, wie ich es mit der Scheune getan hatte – und Gypsy dabei zerquetschen würde.
    Ich schloss die Augen, senkte den Kopf, haderte … betete und fragte: Lieber Gott, wofür bin ich denn nun geschaffen?
    Ich spürte einen Windhauch an den Fingern meiner rechten Hand und schlug die Augen auf. Gypsys Königin Alexandra war da und fächelte mir mit ihren Flügeln Luft zu. Ich erschrak, versuchte aber, mich nicht zu rühren, da ich sie nicht verletzen wollte. Der Schmetterling blieb nur eine Sekunde, dann flatterte er auf und davon.
    Ich stand auf und schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Um meine Angst abzustreifen. Mir blieb nicht viel Zeit. Die Abrissfahrzeuge hatten bereits die Hälfte von Opas Felsblöcken aus dem Weg geschoben und machten unentwegt weiter … und kamen immer näher an das Insektenhaus heran. Nur drei Felsblöcke waren noch übrig.
    Ich musste meine Möglichkeiten abwägen – und zwar schnell. Allmählich kam mir der Verdacht, dass das der Schlüssel zu meinem Schimmer war: mich bewusst für etwas zu entscheiden. Auf unserem Weg von Sundance hierher waren meine Füße wie von selbst gelaufen und mein Gehirn auf Hochtouren. Die Fahrräder der Zwillinge zu demolieren, Winona zu bitten, dass ich ihr beim Zusammenschrauben des Motorrads helfen dürfte, das Windrad zu verdrehen, Sarah Janes Initialen in den Zaun zu biegen … all diese Dinge waren bewusste Entscheidungen gewesen, keine bloßen Reaktionen. Jedes Mal, wenn ich mich zu einer Handlung bewusst entschlossen hatte, war es mir besser gelungen, meinen Schimmer in Schach zu halten. Ich hatte ihn gesteuert, statt mich von ihm steuern zu lassen.
    Jetzt wurde es Zeit, dass ich mich zeigte, so wie Samson es getan hatte. Dass ich der Welt vor Augen führte, wer Ledger Kale wirklich war …
    Nicht der Junge, der immer nur die Erwartungen seines Vaters erfüllen wollte.
    Nicht der Junge, zu dem seine Mutter ihn gemacht hatte.
    Kein Cowboy. Kein Vorschlaghammer. Und auch kein Teenie-Tölpel.
    Nur noch zwei Felsblöcke …
    Bald nur noch einer.
    Gleich hieß es wieder: Zer! Stö! Ren! , das war mir klar. Aber inzwischen wusste ich – wie Winona –, dass man Dinge manchmal erst auseinandernehmen musste, um dann etwas ganz Neues daraus entstehen zu lassen. Etwas Besseres.
    Ich ging wieder in die Hocke, ließ meine Angst abklingen und blickte zu SJ und ihrem Vater. Ich dachte an die Birke, die ihr Haus beschützte; Cabot hatte alle Bäume in seinem Garten gefällt bis auf diesen einen. Ich stellte mir die Birken oben auf der Waldwiese vor und erinnerte mich daran, wie ich sie, immer sicher von den Ästen gestützt, erklommen hatte. Und als eine Planierraupe Opas letzten Felsblock beiseiteschob … und der Schaufelbagger die äußere Tür des Insektenhauses zerschmetterte … da dachte ich mir ein eigenes Bild aus.
    Und ließ meinen Schimmer von der Leine.
    Innerhalb von Sekunden veränderte sich alles. Arbeiter sprangen von ihren Sitzen, da ihre LKWs, Planierraupen und Schaufellader krachend auseinanderfielen. Ein Mann klammerte sich panisch an sein Lenkrad, selbst dann noch, als das Dach über seinem Kopf abriss und das Metall sich verbog und verdrehte. Aber Marisol und Mesquite standen einsatzbereit neben mir.
    »Wir geben dir Rückendeckung, Ledge.« Marisol boxte mir gegen die linke Schulter und ließ ihren schweren Rucksack fallen.
    »Wir kümmern uns um die Leute«, fügte Mesquite hinzu, schlug mir auf die
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