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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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würde. Doch er tat es nicht, und das machte mich froh.
    »Kommt näher, Kinder …« Opa hustete erneut, und wir beugten uns vor. Wir begriffen, dass er noch das unglaubliche Ende einer seiner unglaublichen Geschichten zum Besten geben musste und dass er sich niemals von dieser Erde verabschieden würde, wenn er wusste, dass es eine Geschichte gab, die er noch nicht zu Ende erzählt hatte.
    »Wo war ich stehengeblieben?«, flüsterte Opa mit heiser-rasselnder Stimme.
    »Ich weiß es! Der Teil mit dem Schatz fehlt noch!«, rief Fedora laut aus, und sie und Gypsy nahmen je eine von Opas Händen. Fe beugte sich weiter vor und flüsterte: »Wir haben ihn gefunden, Opa! Wir haben ihren Schatz gefunden. Er war die ganze Zeit hier, genau, wie du gesagt hast!«
    »Natürlich war er das, meine liebe Fedora«, krächzte Opa und kicherte. »Eva Maes Schatz ist immer noch hier … genau hier … er ist direkt um mich versammelt.«

36
    Ob sie nun besser, schlechter oder einfach anders geworden ist – manchmal ist die Normalität nicht mehr normal . Mom und Dad brachten uns zurück nach Hause, als der Sommer gerade am heißesten war und in den Läden schon überall Schulsachen lagen. Ich hatte meinen Schimmer inzwischen besser im Griff, als irgendwer nach einem so katastrophalen, beschissenen Anfang zu hoffen gewagt hätte, und Mom und Dad erlaubten mir, wieder zur Schule zu gehen, wenn auch nur probeweise, sozusagen auf Schimmerbewährung. Alles hätte wieder normal werden … sich normal anfühlen … normal sein sollen. Stattdessen war alles wie immer, aber auch komplett anders, und es kam mir vor, als sähe ich die Welt mit völlig neuen Augen.
    Erst nach sechs Wochen hörte ich auf, jeden Morgen darauf zu warten, dass Mom mich vor der Schule mit ihrem Schimmerbann belegte. Sie ließ sogar zu, dass ich nicht mehr zum Friseur ging und meine Haare bis über die Ohren wachsen ließ, bis sie richtig prima zottelig waren. Außerdem durfte ich mir selbst aussuchen, was ich anziehen wollte. Und ich musste sogar noch eine Menge mehr Sachen selbst entscheiden, als ich aus Wyoming zurück war – zum Beispiel, ob ich weiter laufen wollte.
    Das wollte ich. Und obendrein landete ich bei den Vorläufen zum Achtklässler-Querfeldeinrennen mit Ryan auf einem Platz. Aber ich trat auch in die Kunst-AG ein – und meldete mich für den Werkunterricht an.
    Manchmal vermisste ich es, von Außergewöhnlichem umgeben zu sein. Ich vermisste es so sehr, dass ich Sarah Jane meine Adresse in Indiana schickte und ihre Zeitung abonnierte. Sie antwortete auch postwendend und schrieb mir, sie wäre so glücklich über mein Abo, dass sie für unser nächstes Zusammentreffen einen Kuss vorgesehen hätte. Mein Gesicht stand in Flammen, als ich das las, und meine Hände wurden schwitzig. Ich trug diesen Brief immer in meiner Hosentasche mit mir rum, sogar nachdem das Papier erste Risse bekam.
    Danach traf jede Woche pünktlich wie ein Uhrwerk eine neue Ausgabe des Sundance Express für mich ein. Ich nahm die Zeitungen mit zur Schule, um sie mit den Jungs zu lesen, und lachte mich kaputt, weil sie all die großartigen Geschichten von SJ für bare Münze nahmen. Aber ihnen SJs Brief zu zeigen war ein Fehler. Am Ende desselben Tages hatte Großmaul Brody bereits in der ganzen Schule verbreitet, dass es ein Mädchen in Wyoming gab, das mit Ledger Kale knutschen wollte. Als ich herausfand, dass er es überall rumgetratscht hatte, flogen alle Spindtüren im Flur der Achtklässler aus den Angeln.
    Ich machte mich darauf gefasst, dass ich zu Hause eine Strafpredigt bekommen würde, wenn das rauskam. Aber was auch immer Mom und Dad dazu sagen wollten, wurde von einem Grollen in den Dielenbrettern und einem Anruf Onkel Autrys unterbunden. Und nach Autrys Anruf interessierte sich keiner mehr sonderlich für meinen Schimmerschnitzer.
    Opa Bombas Tod ließ die Erde zehn Tage lang unter unseren Füßen erbeben. Nach seiner Verlegung des Flusslaufs war er noch länger am Leben geblieben, als alle vermuteten, hatte seine letzten Tage auf der Ranch verbracht, wie es immer sein Wunsch gewesen war, und war dann friedlich im Schlaf gestorben.
    Wir schafften es rechtzeitig und in einem Stück zu Opas Begräbnis. Diesmal hielt uns keine endlose Pannenserie auf, während Dad mal wieder das Letzte aus dem Minivan rausholte. Dafür verpassten wir den Vater-und-Sohn-Halbmarathon.
    »Ich weiß, wie hart du dafür trainiert hast, Ledge«, hatte Dad gesagt, während wir für
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