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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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zu betteln brauchten, um Fleisch zu bekommen. Angewidert füllte Merle Dosenfutter in zwei Schalen. Als Tierschützerin würde sie niemals das Fleisch von Tieren essen, aber bis jetzt war es ihr noch nicht gelungen,  auch die Katzen zu Vegetariern zu erziehen (oder wenigstens einen Versuch in diese Richtung zu unternehmen). So etwas kostete Nerven und Zeit. Von beidem hatte sie gerade mal genug, um ihr Leben in den Griff zu kriegen.
    Merle hatte nach dem Abi beschlossen, ein Jahr lang zu jobben. Wenn sie nicht gerade mal wieder Beziehungsstress hatten, half sie Claudio in seinem Pizzaservice aus. Sie engagierte sich mehr als zuvor in ihrer Tierschutzgruppe, organisierte Aktionen und nahm selbst daran teil. Sie brachte die aus den Versuchslaboren befreiten Tiere bei privaten Pflegestellen unter, koordinierte ihre weitere Vermittlung und die Betreuung der Pflegefamilien und übernahm zusätzliche Dienste im Bröhler Tierheim.
    »Und ihr liegt den ganzen Tag auf der faulen Haut.« Sie stellte die Futterschalen auf den Boden und sah zu, wie Donna und Julchen sich darüber hermachten.
    Sie liebte die Katzen und konnte sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Gäbe es die Tierschutzgruppe nicht, wären Donna und Julchen wahrscheinlich längst tot. Merle konnte sich noch gut daran erinnern, wie ausgemergelt und heruntergekommen die beiden gewesen waren, als man sie aus einem Labor geholt hatte. Nur Haut und Knochen, die Augen glanzlos, das Fell struppig und stumpf.
    Inzwischen waren sie richtige Schönheiten geworden. Und selbstbewusste Persönlichkeiten. Die Erinnerung an das Elend, das sie erlebt hatten, zeigte sich nur noch in ihrer extremen Scheu fremden Menschen gegenüber.
    Merle warf einen Blick auf die Uhr. Noch eine Stunde, dann würde Jette nach Hause kommen. Zeit genug, den Abend in aller Ruhe vorzubereiten. Sie stellte den Rotwein in den Kühlschrank, obwohl er da zu kalt werden würde. Sie mochten ihn gern so. Zum Teufel mit den Gepflogenheiten der feinen Küche.
    Sie deckte den Tisch mit Kerzen und Servietten und stellte den Strauß kleiner Sonnenblumen, den sie unterwegs gekauft hatte, in die Mitte. Sie machte einen Salat und ordnete den Käse auf einem großen Pizzateller an. Sie schnitt das Baguette und legte die Scheiben in den Brotkorb.
    Als alles fertig war, setzte sie sich hin und las noch einmal in Ruhe den Brief von Ilka und Mike.
    Wenn euch mein verlassenes Zimmer nervt, schrieb Mike,  vermietet es ruhig, solange wir weg sind. Bringt euch immerhin ein bisschen Geld, und das könnt ihr ja bestimmt gut brauchen.
    »Ach was, vermieten«, murmelte Merle. »Wer weiß, wen wir uns da ins Haus holen würden.«
    Mike und Ilka hatten die Messlatte verdammt hoch gelegt. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen.
    Brasilien ist faszinierend, schrieb Ilka. Ich habe sogar wieder angefangen zu malen. Wenn wir zurückkommen, bringe ich meine Zeichnungen und Bilder mit. Dann werdet ihr es mit eigenen Augen sehen.
    Merle nickte. Hoffentlich begriff Ilka in diesem Jahr Auszeit, dass sie ihr Wahnsinnstalent nicht vergeuden durfte. Man brauchte sich ja bloß das Wandgemälde in Mikes Zimmer anzugucken, um zu wissen, dass Ilka auf die Kunstakademie gehörte.
    Sie hatte Mike dieses Bild zum Einzug geschenkt. Ein Haus in einem Sonnenblumenfeld. Ein Ort zum Träumen. Wenig später war Ilka selbst Teil der Wohngemeinschaft geworden, sozusagen Dauergast.
    »Wenn wir mal ein bisschen mehr Geld haben«, sagte Merle zu den Katzen, »dann sollten wir nach einer größeren Wohnung suchen. Oder nach einem kleinen Haus. Vielleicht gibt es ja auch hier in der Nähe Sonnenblumenfelder.«
    Julchen sprang auf einen der Stühle. Sie sah Merle in die  Augen, als wollte sie sagen: Okay, ich werd drüber nachdenken. Dann fing sie an, sich zu putzen.
    Der einzige Wermutstropfen, schrieb Mike, ist die Trennung von euch. Wir vermissen euch jeden Tag. Warum seid ihr bloß nicht mitgekommen? Love. Mike.
    Unter den Brief hatte Ilka Porträts von Mike und sich selbst gezeichnet. Damit ihr uns nicht vergesst, hatte sie daruntergeschrieben. Küsschen! Ilka.
    Merle war gerührt. Sie blinzelte das Nasse aus den Augen, faltete den Brief zusammen und lehnte ihn gegen die Vase. So würde Jette ihn beim Betreten der Küche sofort entdecken. Sie holte die DVDs aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch.
    Es würde ein schöner Abend werden. Nur sie beide. Niemand sonst. Schon lange hatten sie sich nicht mehr richtig Zeit füreinander genommen.
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