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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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weit genug von Tilos Praxis entfernt, um nicht alle naselang Leuten zu begegnen, die ihn kannten. Die Tische standen in ausreichendem Abstand voneinander, sodass man sich in angenehmer Lautstärke unterhalten konnte. Man wurde nicht von Musik berieselt, hörte bloß diffuses Stimmengewirr ringsum.
    »Ein Telefongespräch nach dem andern«, beklagte sich Imke. »Ich bin kaum zum Schreiben gekommen.« Tatsächlich hatte sie nur eine Seite geschafft. Die ganze übrige Zeit war für Dinge draufgegangen, die am Ende eines Tages vor ihrem kritischen Blick zu nichts zusammenschrumpften.
    »Schaff dir eine Sekretärin an«, schlug Tilo vor.
    Imke schüttelte den Kopf. »Bis ich der erklärt habe, was sie tun soll, hab ich es auch selbst gemacht. Schriftsteller sind eine eigene Spezies. Nicht ganz unkompliziert.«
    »Wem sagst du das?« Tilo grinste sie breit an.
    Die Kellnerin brachte den Wein. Er funkelte dunkelrot in den Gläsern und sah aus, als entstammte er einem Märchen. Imke trank den ersten Schluck und sehnte sich nach einem Land, das sie nicht kannte, das aber irgendwo auf sie wartete. Blaugrüne Buchten, weiße Strände und weit und breit nur sie und Tilo, niemand sonst. Lächelnd griff sie nach ihrem Handy.
    »Noch nicht genug telefoniert?«
    »Ich will nur schnell Jette bitten, die Katzen ins Haus zu lassen. Auf mich haben sie vorhin nicht gehört. Du weißt ja, wie sie sind. Da kannst du rufen, so viel du willst. Sie ignorieren dich einfach. Es sind wieder Tierfänger unterwegs, da sollten sie um diese Zeit nicht draußen sein.«
    Jette war schon auf dem Weg nach Bröhl. Sie war nicht begeistert von der Idee, einen Umweg zu fahren, aber sie wusste, dass mit Tierfängern nicht zu spaßen war.
    »Danke, liebste aller Töchter.« Imke wandte sich wieder Tilo zu. Sie war entschlossen, dieses Essen zu genießen, Katzen hin, Jette her.
     
    Niemand da. Keiner, der ihr helfen konnte. Und alles so fremd. Das Haus, in dem er wohnte, hatte sie wie von selbst gefunden. Wie von Zauberhand gelenkt. Und jetzt war er nicht da. Der Einzige, mit dem sie hätte sprechen können. Der Einzige, der ihr zuhörte. Nicht da.
    Aber würde er sie auch verstehen? Oder würde er die Polizei rufen? Sie hatte etwas Schlimmes getan. Sie war schlecht. Schlecht und verdorben.
    Und wenn er ihr doch nicht zuhörte, sich sogar von ihr abwandte? Vielleicht hatte er allmählich begriffen, dass sie es nicht wert war, sich überhaupt mit ihr abzugeben. Vielleicht hatte sie nun auch ihn enttäuscht.
    Du bist Abschaum. Ein Fehler der Natur. Du verdienst nichts als Verachtung.
    Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch er sie so sehen würde. Wie hatte sie sich einreden können, bei ihm wäre es anders? Wie hatte sie ihm vertrauen können?
    »Weil er an mich glaubt«, flüsterte sie. »Weil er es gesagt hat. Und weil er nicht lügt. Er hat mich noch nie angelogen.«
    Schlampe!, schimpfte jemand in ihrem Kopf. Miststück! Wer sollte schon an dich glauben?
    Sie hielt sich die Ohren zu. Obwohl das nichts half, denn gegen die Stimmen in ihrem Kopf war sie machtlos. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Ihre Augen brannten. Und plötzlich war das Haus ein düsterer Scherenschnitt gegen den rötlichen Himmel. Die Dämmerung streckte ihre langen Finger aus. Weit und breit nichts als dunkelnde Wiesen und Weiden und krumme Zäune.
    Rasch schlüpfte sie hinter einen Strauch und kauerte sich ins Gras. Von Weitem hörte sie das Blöken von Schafen. Es beruhigte sie ein wenig. Aber der Aufruhr in ihrem Innern ebbte nur ganz allmählich ab. Was blieb, war die Angst. Eine schreckliche, lähmende Angst.
     
    Mein knurrender Magen würde sich gedulden müssen, ebenso wie Merle. Ich hatte ihr eine SMS geschickt und dann den Umweg zur Mühle eingeschlagen. Wenn es um ihre Katzen ging, stellte meine Mutter sich an wie die Urmutter persönlich. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie überschüttete Edgar und Molly mit all der Liebe, die sich in ihr staute, seit ich mein eigenes Leben lebte.
    Postwendend war eine SMS von Merle zurückgekommen. Sie wusste nur zu gut, was mit den Katzen passierte, die von Tierfängern aufgegriffen wurden. Sie wusste auch, dass diese  Kriminellen hauptsächlich in der Dämmerung und bei Nacht aktiv waren. Es störte sie nicht, dass ich mich ein bisschen verspäten würde.
    Ich machte das Radio an und merkte, wie die Musik meinen Ärger über die ständigen Extrawünsche meiner Mutter Stück für Stück dahinschmelzen ließ.
    Molly saß
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