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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker
Autoren: Ronald Gutberiet
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mächtigen, sechs Stockwerke hohen Turm abwenden. Herrisch und düster überragte er den kleinen Marktflecken, der von einer wehrhaften Mauer umgeben wurde, die Störtebekers Leute errichtet hatten; die beiden zur Stadtmauer gehörenden Tortürme erschienen ihm dagegen fast zierlich. Zu dem mit einem kupfernen Dach bedeckten Kirchturm gehörte ein eindrucksvolles Kirchenschiff, neben dem sich die kleinen Häuser des Ortes geradezu winzig ausnahmen. Groß war die Stadt nicht, im Grunde nicht mehr als ein Flecken. Seit die Seeräuber sie aber zu ihrem Hauptquartier und Warenumschlagplatz auserkoren hatten, war sie bei vielen Händlern und Schacherern weit über die Grenzen Frieslands bekannt geworden. Hier konnte man wertvolle Handelsgüter preiswert erstehen.
    Das freie Volk der Friesen hatte keine Skrupel, Piraten Unterschlupf zu gewähren. Ihr Häuptling Keno ten Broke verlangte nichts als einen Anteil am Gewinn, und die Angehörigen seines Stammes lebten nicht schlecht von dieser Vereinbarung. Einst hatten sich Störtebeker und seine Mannen auf Kaperbriefe der mecklenburgischen Herrscher berufen können, nun waren sie auf eigene Rechnung unterwegs – doch für die Art ihrer Tätigkeit machte das keinen Unterschied. Freibeuterei war ebenso wenig ein Verbrechen wie das Führen von Kriegen. Kriege gab es ständig, ein Leben ohne Krieg war unvorstellbar, und um seinen Machtbereich auszudehnen, nahm Keno ten Broke gern die Hilfe der wehrhaften Seeräuber in Anspruch. Diese wiederum griffen gern zu den Schwertern, es war ihre liebste Tätigkeit.
    Dies alles erfuhr Jan Burchard von dem Mann, der ihn jetzt bewachte: Magister Wigbold war, verglichen mit den übrigen Gesellen, die hier lebten, geradezu ein Gelehrter. Schon mit seinem gepflegten weißen Backenbart hob er sich von den anderen, meist zotteligen Gesellen ab. Des Lesens und Schreibens mächtig, verstand er sich auszudrücken wie ein studierter Bürger. Burchard wagte nicht zu fragen, wie er in diese ungebildete und ungehobelte Horde gelangt war.
    Wigbold führte ihn durch den Ort, nachdem er sich dafür entschuldigt hatte, dass man dem »hohen Gast« wegen Fluchtgefahr die Hände auf den Rücken gebunden hatte. Vor den winzigen reetgedeckten Backsteinhäusern wälzten sich grunzende Schweine im Schlamm, in den Gärten pickten Hühner im kargen Boden, ein Ochsenkarren rollte quietschend durch die Hauptstraße, irgendwo muhte eine Kuh in einem Stall. Die Bewohner hatten ihre Häuser und Arbeitsstätten verlassen, um den Piraten beim Entladen und Stapeln der Beutegüter zu helfen.
    Jan Burchard nahm Maß: Der Mann, der sich Magister nannte, war einen Kopf kleiner als er und wirkte eher schmächtig. Gab es eine Möglichkeit, ihn zu überlisten und zu flüchten? Ein Blick unter seinen Umhang belehrte den jungen Mann eines Besseren. Der höflich und gebildet daherplaudernde Magister trug zwei breite Dolche im Gürtel und an einem Lederband um den Hals einen kleinen Totenkopf aus Silber.
    Sie erreichten den Kirchhof, wo bereits ein Ochsenkarren mit Beutegütern angekommen war, die nun auf der mit Backsteinen gepflasterten südlichen Seite abgeladen und in Schuppen und Unterständen verstaut wurden. Auf der nördlichen Seite der Kirche befand sich ein grasbewachsener Friedhof. Der Bereich wurde von kleinen Baumgruppen und vereinzelten Sträuchern begrenzt.
    Wigbold deutete auf das mächtige Backsteingebäude, das in einem grobschlächtigen gotischen Stil gehalten war – eine Wehrkirche, wie es viele in Friesland gab, aber größer als die meisten anderen: »Ist dies nicht wirklich und wahrhaftig ein vollendetes Gebäude?«, fragte er stolz. »Kreuzkirche und Chor bestehen aus sieben großen und festen Gewölben, die auf gewaltigen Säulen ruhen. Angehängt sind gewölbte Umgänge, die eine Halle um das Haupthaus bilden. Auf dem majestätischen Gebäude ruht ein Dach, welches sich durch einen ungeheuren Aufwand von Holz und durch eine bleierne Decke auszeichnet. Der hohe, mit der Kirche verbundene Turm stellt mit derselben ein herrliches, unzertrennliches Ganzes dar.«
    Burchard musste zugeben, dass ihn die Kirche beeindruckte. Irritiert blickte er auf die in den Nischen unterhalb des Dachfirstes stehenden Dämonengestalten. Sie wirkten auf ihn wie ein Heer des Teufels. Beim Näherkommen konnte er die einzelnen Figuren unterscheiden: Da sah man einen Fuchs, der eine Messe las, ein Schwein mit einer Kerze in der Hand, einen von verschiedenen Tieren angeführten
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