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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker
Autoren: Ronald Gutberiet
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Leichenzug, und zu seinem großen Schrecken entdeckte Jan Burchard auch noch die Darstellung eines Teufels mit einer Krone.
    Wigbold schien die Zweifel seines Gefangenen bemerkt zu haben: »Keine Angst, wir sind durchaus gottesfürchtige Menschen«, sagte er. »Und dass Gott uns zugetan ist, hat er mehrfach bewiesen. Er hat uns gestattet, den Dom, den wir ihm gebaut haben, als wehrhafte Burg zu nutzen. Die Hauptmänner haben im großen Turm Quartier bezogen. Störtebeker, unser Anführer, wohnt mit seiner Frau im obersten Stockwerk.«
    »Er hat eine Frau?«
    »Aber ja, Helga ten Broke, die Tochter des Häuptlings. Habt Ihr sie am Hafen denn nicht bemerkt?«
    »Nein.«
    »Dann müsst Ihr blind gewesen sein. Sie überragt die meisten Männer hier im Ort.«
    Sie überquerten den Kirchhof. Wigbold zog einen großen Schlüssel aus dem Gürtel und schloss damit die Tür zum Kirchturm auf. Durch ein steinernes Treppenhaus stiegen sie in den dritten Stock, wo Wigbold einen Riegel zurückschob, um eine eisenbeschlagene schwere Holztür zu öffnen. Dann machte er eine einladende Handbewegung: »Seid willkommen in meinem Reich.«
    Sie traten ein. An den Wänden hingen orientalische Teppiche, auf dem Boden lagen Felle exotischer Tiere. Figuren und Figürchen aus Holz, Stein und Ton standen auf schweren Möbeln aus Eichenholz. Über einer mit bunten Wolldecken und bestickten Kissen üppig ausgestatteten Bettstelle hing ein Gemälde in leuchtenden Farben, auf dem eine Szene aus dem Garten Eden zu sehen war. Jan Burchard durfte sich auf einen gepolsterten Stuhl setzen. Wigbold nahm ihm die Fesseln ab.
    »Das wird Eure Heimstatt sein, bis ein Bote aus Hamburg Euch auslöst«, sagte er. »Es wird Euch an nichts fehlen, wir sind reiche Leute.«
    Damit verabschiedete er sich.
    Nichts wird mir fehlen, nur meine Freiheit, dachte Burchard zerknirscht. Er stand auf und spähte durch eins der schmalen Fenster nach draußen. Er konnte über den Hafen und die Leybucht aufs offene Meer blicken. Er trat an ein gegenüberliegendes Fenster und blickte über die endlose flache Ebene des Friesenlandes. Irgendwo dort im Osten, in weiter Ferne, musste Hamburg liegen, seine Heimatstadt.
    Wenn Jan Burchard den Kopf durch die Fensteröffnung steckte und nach unten blickte, konnte er beobachten, wie die Seeräuber und die mit ihnen verbündeten Einwohner von Marienhafe die Ladung der sechs Koggen in den Kirchhof brachten. Es waren zahlreiche Fuhren notwendig, und jeder, der ein Gefährt hatte, stellte es für den Transport zur Verfügung. Am Nachmittag kamen kurz hintereinander zwei Reiter an, die statt der bäuerlichen Arbeitskittel geknöpfte Röcke trugen. Der eine von ihnen hatte seine Kleidung sogar mit modischen Schellen verziert. Offenbar handelte es sich um Händler, die sich die besten Stücke sichern wollten.
    Er versuchte, die beiden vergleichsweise vornehm aussehenden Herren auf sich aufmerksam zu machen. Er rief, er schrie, er brüllte nach unten, aber nur einmal warf der mit den Schellen einen kurzen Blick nach oben und ging dann wieder seinen Geschäften nach.
    Schließlich schwieg er und beobachtete das Geschehen weiter. Bald wurden Tische und Bänke herangeschafft. Es wurden immer mehr. Offenbar wollte der ganze Ort an dem Fest teilnehmen, das heute Abend zu Ehren der Heimkehrer gefeiert wurde. Bier und Branntweinfässer wurden gebracht und mit dem Einbruch der Dunkelheit mehrere Feuer entzündet und brennende Fackeln zur Beleuchtung des Platzes in die Erde gesteckt. Bald stieg dem hungrigen Gefangenen der Geruch gebratenen Fleisches in die Nase. Wenn er im dämmrigen Zwielicht richtig sah, wurden da unten nicht nur Ferkel und Schweine, sondern auch ein ganzer Ochse am Spieß gebraten. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und er begann, seine Kerkermeister aus tiefster Seele zu hassen, weil sie ihn hier oben darben ließen.
    Die Nacht brach herein, und immer mehr Menschen fanden sich im Kirchhof ein. Trommeln wurden geschlagen, man hörte die Klänge von Zinken, Flöten und Sackpfeifen, die zumeist schrill durcheinander tönten. Stimmengewirr, Lachen und Singen kamen dazu. Die Menschen dort unten wurden immer ausgelassener und lauter, ihr Gefangener hingegen immer mutloser. Schließlich wandte sich Jan Burchard ab, verfluchte die ganze Bande innerlich, setzte sich in die Mitte des Turmzimmers auf einen Teppich und starrte apathisch vor sich hin.
    Er musste wohl eingeschlafen sein, denn mit einem Mal fand er sich fröstelnd auf dem Boden
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