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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger
Autoren: Monika Feth
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aufgesetzt und blätterte in ihren Unterlagen. »Hier muss ein bisschen was getan werden«, sagte sie und taxierte die fleckigen Wände mit geübtem Blick. »Falls Sie es selbst übernehmen wollen, ist der Vermieter bereit, Ihnen finanziell entgegenzukommen. Dasselbe betrifft die Pflege des Grundstücks. Das kann alles vertraglich geregelt werden.«
    Ein bisschen was ist gut, dachte Merle. Dieses Haus hatte schon ewig keine frische Farbe mehr gesehen. Es lechzte nach Aufmerksamkeit, Kreativität und einer Reihe radikaler Verschönerungen.
    Die geräumige Wohnküche ließ den engen, dämmrigen Flur vergessen. Der dunkelrote Fliesenboden erinnerte Merle an  Ferien in Italien. Die beiden Fenster, die einander gegenüberlagen, waren schmal und hoch und ließen viel Licht herein.
    Auf der einen Seite ging der Blick in den sogenannten Garten hinaus, ein riesiges, karges Stück holpriger Wiese, über das ein paar Vögel hüpften. Auf der anderen Seite blickte man in den gepflasterten Innenhof.
    Merle stockte der Atem. Sie hatte selten etwas so Schönes gesehen. Da standen verwitterte Blumenkübel zwischen großen bemoosten Findlingen. Efeu und immergrüner Hibiskus rankten an den Bruchsteinmauern empor. Es gab einen alten Brunnen und ein gemauertes Hochbeet, das von noch winterkahlem Strauchwerk bedeckt war. Und über all das breitete ein hoher Baum schützend seine noch nackten schwarzen Zweige.
    »Eine Akazie«, erklärte Alice Morgenstern, die Merles Blick gefolgt war. »Blüht weiß und spendet einen angenehm lichten Schatten.«
    Hier würden sie im Sommer sitzen. Wenn Mike und Ilka von ihrer Brasilienreise zurück wären und Mina aus der Klinik. Hier würden sich die Katzen auf den warmen Steinen aalen und endlich ihre Freiheit genießen können.
    Merle hätte gern Jettes Hand genommen und sie gedrückt, doch die Freundin stand am anderen Ende des Raums, den Kopf in den Nacken gelegt, und betrachtete die Zimmerdecke, an der eine nackte Glühbirne hing.
    Merle versuchte es mit Telepathie.
    Sag ja. Sag ja. SAG JA!
    »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
    Alice Morgenstern, die immer wieder nervös auf ihre Armbanduhr sah, schien darauf bedacht, die Besichtigung möglichst zügig hinter sich zu bringen. Mit leisem Bedauern verließ Merle die Küche, die sie im Kopf schon eingerichtet hatte. Sie versuchte, Blickkontakt mit Jette aufzunehmen, doch die  Freundin schien in Gedanken versunken. Ebenso wie dieser Lukas Tadikken, der gerade über seine eigenen Füße stolperte.
    Einzig Alice Morgenstern war hoch konzentriert. Und nervtötend präsent. Merle wünschte, sie könnten sich allein umschauen. Seufzend tappte sie durch den langen Flur hinter den andern her.
     
    Imke deckte den Tisch im Wintergarten. Für die Terrasse war es noch zu kalt. Der kräftige Sonnenschein täuschte leicht darüber hinweg, dass der Winter noch längst nicht zu Ende war, vor allem hier auf dem Land.
    Auf dem Dach der Scheune hockte der Bussard. So reglos, dass man meinen konnte, er sei nicht echt. Wie diese lebensgroßen Kunststoffraben, die vor manchen Geschäften aufgestellt waren, um lästige Tauben von den Auslagen fernzuhalten.
    Der Bussard gehörte zu Imkes Leben hier draußen wie die Schafe, die bald wieder auf den Wiesen grasen würden. Er gehörte dazu wie der winterliche Geruch nach Gülle und Schweinefarm und der sommerliche Erdbeerduft, der in den Erntemonaten von den Feldern herüberwehte.
    Der Vogel wachte über sie. Ließ nicht zu, dass ihr etwas Böses geschah. Ihr oder den Menschen, die sie liebte.
    Pass auf Jette auf, dachte sie unwillkürlich. Behüte meine Tochter.
    Erschrocken hielt sie inne, mit den Servietten in der Hand über den Tisch gebeugt. Was tat sie da? Machte sie einen Gott aus diesem Tier?
    »Unsinn«, murmelte sie. »In allen Kulturen gibt es Lebewesen, die wegen ihrer besonderen Kräfte verehrt werden. Eulen zum Beispiel. Wölfe. Oder Schlangen. Nur haben diese Kräfte  in einer Welt ohne Magie keinen Platz mehr und werden einem fremd.«
    Sie griff nach Notizzettel und Kugelschreiber und schrieb den Gedanken auf. Und erschrak wieder. Hatte Jette etwa recht, wenn sie ihr vorwarf, sie würde alles in ihrer Umgebung als Material für ihre Bücher betrachten?
    »Quatsch«, beruhigte sie sich ein zweites Mal. Sie unterschied sehr wohl zwischen privat und öffentlich. Niemals würde sie Geheimnisse, die ihr anvertraut worden waren, in ihren Romanen ausplaudern. Noch nie hatte sie die Intimsphäre eines Menschen
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