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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger
Autoren: Monika Feth
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wissentlich verletzt.
    Konzentriert deckte sie weiter den Tisch, stellte einen Teller mit Gebäck in die Mitte und rückte die Obstschale näher heran. Befriedigt rieb sie sich die Hände.
    Im nächsten Augenblick war sie auf dem Weg nach oben, um sich umzuziehen. Vor dem geöffneten Kleiderschrank überfiel sie die Ratlosigkeit. Sie griff nach einer Hose und hängte sie wieder zurück, zog einen Rock heraus und überlegte es sich wieder anders. Was war los mit ihr? Wieso konnte sie sich für keines der Kleidungsstücke entscheiden?
    Weil du ihm gefallen willst.
    Sie lachte, aber das Lachen war nicht echt. Sie lachte nur, um die kleine gemeine Stimme in ihrem Innern zu übertönen.
    »Ich will ihm nicht gefallen«, sagte sie trotzig. »Ich weiß,  dass ich ihm gefalle.«
    Im nächsten Moment hatte sie die Schranktür zugeschlagen. Sie würde sich nicht umziehen. Sie war nicht der Spielball ihrer Gefühle und würde sich nicht dazu machen lassen.
    Auf dem Weg nach unten fiel ihr Blick in Tilos Arbeitszimmer. Vor wenigen Wochen erst hatten sie es eingerichtet, damit er nicht länger bloß ein Besucher in Imkes Haus war. An diesem Wochenende nahm er an einer Tagung in Zürich teil. Noch bis zur letzten Sekunde hatte er an seinem Vortrag gearbeitet: »Sind wir Sklaven unseres Unterbewusstseins?«
    Imke wandte den Blick ab, als sie an der weit geöffneten Tür vorbeiging. Eher Sklaven unseres Schuldbewusstseins, dachte sie zerknirscht und verbannte den Gedanken sofort aus ihrem Kopf. Zurück im Wintergarten, schaute sie auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Eine kleine Ewigkeit.
     
    Die beiden passten nicht zusammen. Ich fragte mich, wie sie als Team zurechtkommen mochten. War Alice Morgensterns Schreibtisch wie sie selbst? Aufgeräumt, überschaubar und ohne jeden Hinweis auf den Inhalt seiner Schubladen? Und der ihres Begleiters? Wie sah der wohl aus? Unordentlich, kreativ und voller Widersprüche?
    Ich ärgerte mich über meine Vorurteile, während ich hinter der kleinen Truppe herging, allen voran Alice Morgenstern, dann Lukas Tadikken, dicht gefolgt von Merle, die mich überholt hatte und wie trunken zu sein schien von den Eindrücken, die auf uns einstürmten.
    Der Bauernhof war nicht gerade eine Zierde seiner Art, aber mit Ilkas Phantasie, Minas vielfältigen Fähigkeiten, Mikes Kraft, Merles Organisationstalent und meinem Durchhaltevermögen würde es uns gelingen, etwas Hinreißendes daraus zu zaubern.
    Im Augenblick wurde der Eindruck von den zahlreichen Verfallsspuren getrübt, auf die man überall traf. Die Bewohner waren nicht gut zu dem Haus gewesen. Reste ihrer Habseligkeiten lagen in den Räumen verstreut, zwischen Müll und Zeitungsstapeln, achtlos in Plastiktüten gestopft oder einfach weggeworfen.
    Der Geruch, der in der Luft hing, war modrig und kalt. Ein grauer Kellergeruch, der sich in allen Zimmern ausgebreitet  hatte, der hartnäckig an den Wänden haftete, in die scheußlichen Teppichböden gesickert war und die schmutzblinden Fensterscheiben bedeckte.
    »Als hätte Luzifer persönlich einmal tief ausgeatmet«, raunte Merle, die plötzlich neben mir war, schaudernd.
    Lukas drehte sich halb nach uns um. Vielleicht hatte er sie gehört. Und sicherlich waren Makler empfindlich, wenn man an der Qualität ihrer Objekte herumnörgelte.
    Ich blieb am Badezimmerfenster stehen und blickte auf eine große Fläche nackter Erde hinaus, die einmal ein Hühnerhof gewesen sein musste. Wo Hühner leben, gedeiht keine Blume, kein Grashalm. Hühner scharren alles tot. In Gedanken hörte ich ihr Gackern und Gluckern und das heisere Krähen eines Hahns.
    Ich spürte Merles Atem an meinem Ohr.
    »Wir könnten uns ein Schwein anschaffen«, flüsterte sie. »Oder besser zwei? Leiden Schweine unter Einsamkeit?«
    »Bestimmt.« Ich ließ den Blick über den Hühnerhof hinweg zu dem Feld wandern, das an den Garten anschloss. »Gibt es überhaupt Einzelgänger in der Natur?«
    »Ja«, mischte Lukas sich ungefragt ein. »Den Menschen.«
    Merle warf ihm einen überraschten Blick zu. Sie mochte Männer mit klaren Vorstellungen und der Fähigkeit zur Ironie.
    Aber hatte dieser Lukas das wirklich ironisch gemeint?
    Ich hob den Kopf und begegnete seinem belustigten Blick.
    »Menschen sind keine Einzelgänger«, behauptete ich, bloß um ihm zu widersprechen. »Sie sind wie Tauben. Oder wie Wale. Die verbringen, glaube ich, auch ihr ganzes Leben zu zweit.«
    »Wale und Tauben leben monogam?« Sein Grinsen war fast schon unverschämt.
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