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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger
Autoren: Monika Feth
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die Umgebung ab. Bis zum Wald war es ein ganzes Stück. So weit konnten sie noch nicht sein. Das Land davor war flach und frisch gepflügt. Dort konnten sie sich nicht verstecken.
    Blieben das Schilf und der Fluss.
    Manuel horchte. Der Regen trommelte kleine Dellen in das Wasser. Er war stärker geworden und machte feine Geräusche. Manuel mochte Regen. Aber nicht jetzt!
    Aufmerksam spähte er ins Schilf und hielt die Waffe fest umklammert.
    Er konnte Imkes Nähe spüren.
    Allmählich begann die Jagd ihm Spaß zu machen.
     
    Noch immer konnte Imke nichts sehen. Und jetzt überdeckte das Prasseln des Regens auch noch jeden anderen Laut.
    Jette musste in ihrer Nähe sein. Wenn es doch nicht so finster wäre.
    Bestimmt wusste er längst, wo sie sich versteckten. Er musste nicht einmal einen Finger rühren, um sie zu finden. Er brauchte nur abzuwarten, bis ihm die Eiseskälte seine Opfer in die Arme trieb. Jette war völlig entkräftet. Sie durfte keine Minute länger im Wasser bleiben.
    Und draußen? Da wäre sie erst recht in Gefahr.
    Der Hass in seinen Augen. Er war Imke nicht entgangen.
    Dieser Mann würde ihre Tochter töten, um Imke zu bestrafen.
    In all den Wochen im Sauerland, in denen sie ihn schreibend umkreist hatte, war sie ihm nah genug gekommen, um zu wissen, wie er reagieren würde. Sie war sich absolut sicher. Und es gab nur einen Weg, um Jette zu schützen.
    »Ich bin hier!«, rief sie, kam unter dem Steg hervor und wartete auf ihn.
     
    Sie war vernünftig geworden. Gut.
    Manuel ging über den Steg auf sie zu. Ihr Haar war tropfnass. Es stand ihr. Allerdings war ihre Wimperntusche verlaufen. Das verlieh ihr ein bisschen das Aussehen eines Clowns.
    Er lächelte unwillkürlich und voller Wärme.
    Er war jetzt nicht mehr böse auf sie. Beinah bedauerte er es, sie bestrafen zu müssen.
    Er reichte ihr die Hand, um sie aus dem Wasser zu ziehen.
    Um das Mädchen würde er sich kümmern, sobald er Imke sicher eingeschlossen hätte.
     
    Ich schwamm auf ihre Stimme zu. Mein Keuchen war laut und verräterisch.
    Ich hörte, wie er sie aus dem Wasser zog.
    »Willkommen, mein Engel«, sagte er.
    »Lass uns wegfahren von hier«, hörte ich meine Mutter bitten. »Nur du und ich. Jetzt gleich.«
    Was tat sie da? Ich wollte nicht, dass sie mich schützte. Nicht so.
    »Bald, mein Herz«, antwortete Manuel mit zärtlicher Stimme. »Aber vorher musst du deine Lektion lernen, damit du nie vergisst, dass du mir zu gehorchen hast.«
    Vorsichtig klammerte ich mich am Steg fest und spähte über den Rand. Manuel hatte meiner Mutter den Arm um  die Schultern gelegt und führte sie zum Boot. Sie wehrte sich nicht.
    Als sie unter Deck verschwunden waren, hangelte ich mich mühsam hoch. Klatschnass platschte ich auf das Holz, vor Kälte schnatternd und eine Tonne schwer. Ich raffte mich auf, ohne zu überlegen, und kehrte geräuschlos zurück auf das Boot, das ich niemals mehr hatte betreten wollen.
     
    Er band ihr die Hände auf dem Rücken zusammen, behutsam, liebevoll beinah. Dann nahm er sich ihre Füße vor.
    »Bitte«, bat Imke ihn. »Tu meiner Tochter nichts an.«
    Ein Ausdruck von Bedauern glitt über sein Gesicht. Er hob die Hand und strich ihr das nasse Haar aus der Stirn.
    Sie konnte seine Berührung kaum ertragen, doch sie hielt sie aus, so wie sie es aushielt, um Jettes Leben zu betteln.
    »Sag meinen Namen«, flüsterte er.
    Und sie tat es. Langsam und den Tränen nah.
    »Ma…nu…el …«
    Er sah ihr in die Augen. Küsste ihre Schläfen, ihr Kinn.
    »Ich könnte dich niemals … lieben, wenn meiner Tochter etwas zustoßen würde.«
    Imke hörte, wie lang und auffällig ihr Stocken gewesen war. Und sie bemerkte sofort, dass auch er es wahrgenommen hatte. Er stieß sie zurück auf das Bett und verließ die Kabine.
     
    Meine einzige Chance bestand darin, ihn zu überraschen. Er hatte sich darauf eingestellt, mich suchen zu müssen, und war bestimmt nicht darauf gefasst, mich an Bord zu finden.
    Ich musste nicht lange auf ihn warten.
    Sobald er aus der Tür getreten war, sprang ich ihn an.
    Diesmal ließ er sich nicht überrumpeln. Er packte mich am  Hals. Sein Griff war stark und fest. Ich versuchte, ihn zu lockern, aber seine Finger ließen nicht los.
    Das Blut staute sich in meinem Kopf. Es rauschte in meinen Ohren. In meiner Kehle pochte es. Ich bekam keine Luft.
    Mit letzter Kraft trat ich ihm gegen das Bein, doch er drückte nur fester zu.
    Weit entfernt hörte ich einen Schrei. Und einen Schuss.
    Manuel
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