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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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rausgefahren?«, fragte Jill, und als sie das Wort Hässelby aussprach, verspürte sie eine nagende Unruhe im Magen. Obwohl es schon so lange her war.

DAS THERMOMETER ZEIGTE 25 Grad an, als Hans Peter im Hotel ankam. In der U-Bahn war es unerträglich heiß gewesen, sodass er sich eine Gratiszeitung gegriffen und sich damit auf seinem Sitz Luft zugefächelt hatte. Je mehr er an das bevorstehende Gespräch mit Ulf dachte, desto unbehaglicher wurde ihm zumute. Ulf hatte am Telefon etwas von Problemen erwähnt. Dinge, die er lieber unter vier Augen besprechen wollte.
    Ein heißer Luftzug wehte durch die Straßen und wirbelte Papier und Staub auf. Aus den vielen Straßenrestaurants strömten die verschiedensten Essensdüfte. Sein Magen zog sich vor Hunger zusammen, er war nicht mehr dazugekommen, etwas zu essen, bevor er sich auf den Weg machte. Vor ihm schob eine Frau ihr Kind in einer Sportkarre. Plötzlich wehte der kleine weiße Sonnenhut vom Kopf des Kindes hoch und segelte genau in dem Moment an ihm vorbei, als er die Tür des Hotels öffnen wollte. Reflexartig streckte er seine Hand aus und stoppte den Hut, indem er ihn gegen die Hauswand drückte. Die junge Mutter kam angestürzt und riss ihn ihm ohne Umschweife aus der Hand. Der Hut war vom Putz der Wand leicht schmutzig geworden. Mit einer zornigen Falte zwischen den Augenbrauen rieb sie den Fleck an ihrem Kleid aus. Ihre sonnengebräunten Brüste wogten aus dem Ausschnitt hervor.
    »Bitte sehr«, sagte Hans Peter. »Er wurde beinahe vom Winde verweht.«
    Sie warf den Kopf in den Nacken.
    »Was reden Sie da?«
    Ein plötzlicher Zorn packte ihn und fuhr ihm wie ein Faustschlag in die Magengrube. Er bekam Lust, die Frau anzuschnauzen, grob und verletzend. Doch er tat es nicht, er war kein aufbrausender Charakter. Nur sehr selten geriet er mit jemandem aneinander. Selbst die Scheidung von Liv vor vielen Jahren war äußerst diszipliniert abgelaufen. Liv war die Schwester seines Chefs Ulf. Ab und an erfuhr er über ihn, wie sie heute lebte. Sie hatte ihn damals wegen eines Mannes namens Bernt verlassen und war zu ihm in sein Reihenhaus im nördlichen Hässelby gezogen. Sie hatten mehrere Kinder bekommen, vor einiger Zeit hatte er sie einmal im Einkaufszentrum in Åkermyntan getroffen. Die ganze Familie.
    »Lass uns in Verbindung bleiben«, hatte sie mit leiser Stimme vorgeschlagen und dabei ihre kleine weiche Hand auf die seine gelegt. Bernt mit seinem Bierbauch stand daneben.
    »Ja, genau, besuch uns doch mal auf einen Drink oder eine Tasse Kaffee, wir sind fast immer zu Hause.«
    Doch daraus wurde nichts, natürlich nicht.
    Und dann hatte er Justine getroffen.
     
    Im selben Moment, als er die Türklinke hinunterdrückte, wurde die Tür von innen geöffnet. Ariadne, die Frau, die im Hotel saubermachte, war mit einem Einkaufsbeutel über der Schulter auf dem Weg nach draußen.
    »Hoppla, hoppla!«, entfuhr es Hans Peter.
    Sie rang nach Luft.
    »Wie eilig du es hast«, setzte er hinzu.
    Sie murmelte etwas Unverständliches und richtete den Blick auf den Boden, doch er hatte bereits gesehen, wie sie aussah. Er fasste sie um die Schultern und schob sie mit sich ins Foyer.
    »Ariadne«, begann er.
    Sie kniff den Mund zusammen, es schien, als täte es weh. Ihre Lippen waren geschwollen und verfärbt.
    »Was zum Teufel ist denn mit dir passiert?«
    Sie verzog das Gesicht.
    »Ich bin die Treppe runtergefallen, zu Hause.«
    »Runtergefallen?«
    »Ja, die Außentreppe. Ich hatte es eilig.«
    »Aha.«
    »Ich kann froh sein, dass nicht noch mehr passiert ist.«
    »Es sieht aber aus, als sei es auch so schon schlimm genug.«
    Sie entwand sich seinem Griff und begann, einige Touristenbroschüren, die auf dem Tresen ausgebreitet waren, zusammenzusammeln. Umständlich legte sie sie in den alten Schuhkarton, den sie vor einiger Zeit mit geblümtem, selbstklebendem Papier genau zu diesem Zweck ausgekleidet hatte. Ihm fiel auf, wie abgenutzt er inzwischen aussah.
    »Du musst bald einen neuen Karton machen«, sagte er. »Dieser hat wohl seine besten Zeiten hinter sich.«
    »Ob das noch so viel Sinn macht«, entgegnete sie tonlos.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich weiß nicht. Nur so ein Gefühl.«
    »Spielst du auf Ulf an, hat er dir etwas erzählt?«
    »Nein. Nicht erzählt.«
    Ariadne kam aus Griechenland. Sie lebte seit mehr als fünfzehn Jahren in Schweden, sprach jedoch immer noch mit ziemlich starkem Akzent. Hans Peter versuchte, sie regelmäßig zu verbessern, wenn sie sich
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