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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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Bindfaden zusammen, den sie in ihrer Jackentasche fand.
    »Als Berit und ich klein waren«, sagte sie. »Da gingen wir manchmal auf das Eis, um zu spielen. Es war natürlich verboten, aber wir taten es trotzdem.«
    »Kinder kümmern sich so wenig um Gefahren.«
    »Ja. Einmal hatte sich eine Eisscholle, auf der ich stand, gelöst. Sie war einfach abgebrochen und glitt auf dem Wasser dahin. Ich versuchte zu springen, ich erinnere mich noch genau, wie sich die Kante absenkte und ich kurz davor war, hineinzufallen. Doch erst in dem Moment, als ich begriff, dass die Wasserfläche zwischen mir und der festen Eisschicht immer breiter wurde, erst da bekam ich Angst.«
    Er wandte sich ihr zu. Sie hatte sich ein Tuch ums Haar gebunden, und sie fror.
    »Und wie bist du wieder an Land gekommen?«
    »Merkwürdigerweise habe ich gerade das vergessen.«
    »Du hast es vergessen?«
    »Was ich eigentlich damit sagen wollte, ist, dass man nicht unbedingt immer vor den wirklich gefährlichen Dingen Angst hat«, fuhr sie fort. »Man hat vor allem möglichen anderen Angst. Oftmals sogar vor dem, was man eigentlich locker bewältigen könnte.«
    Er zündete sich eine Zigarette an.
    »Warum ist sie nur aufs Eis hinausgegangen?«, brach es aus ihm heraus. »Kannst du mir das beantworten!«
    »Vielleicht, um ein wenig Unendlichkeit zu spüren«, antwortete sie bedächtig. »Oder vielleicht, um diesem magischen Knacken von gefrorenem Wasser zu lauschen, was man in der Stadt nicht hören kann.«
    Er blickte über das Wasser hinaus. Kleine seichte, kaum merkliche Wellen.
    »Ich habe mir Gedanken über ihre Angst, ihre Todesangst gemacht«, sagte er undeutlich. »Darüber, wie lange es wohl gedauert hat.«
    »Das werden wir wohl nie erfahren. Aber es heißt ja, dass der Tod durch Ertrinken die sanfteste aller Todesarten sei.«
    Sie ging in die Hocke und legte den Strauß vorsichtig ins Wasser. Er schaukelte ein wenig umher, trieb dann in die Öffnung zwischen den Erlenwurzeln und blieb dort liegen.
    Sie standen eine Weile und betrachteten die Blumen, bevor sie zum Auto zurückgingen.

III

FÜNF MONATE SPÄTER
    Die Notiz wurde genau an dem Tag in der Zeitung abgedruckt, an dem auch die Einweihung von Ariadnes Hotel stattfand. Sie befand sich auf einer linken Seite, ziemlich weit unten, und es war reiner Zufall, dass Justine sie entdeckte.
     
    VERSCHWINDEN NACH SIEBEN JAHREN AUFGEKLÄRT
    DNA-Proben haben inzwischen bestätigt, dass die Identität der Frauenleiche, die im Oktober vergangenen Jahres in der Nähe des Lövstabades im Westen von Stockholm gefunden wurde, mit Berit Assarsson aus Bromma übereinstimmt. Assarsson verschwand vor sieben Jahren nach einem Besuch in Hässelby aus unerklärlichen Gründen. Ihre Leiche wurde von einer Privatperson gefunden, die ihren Hund ausführte. Sie wurde während des starken Unwetters, das im Oktober über die Region zog, an Land gespült. Nach Aussage der Polizei konnte dem Fund kein Verbrechen zugeordnet werden. Man vermutet, dass es sich um einen Unfall durch Ertrinken handelt.
     
    Mit der Zeitung in der Hand ging sie zum Fenster. Eine dicke Schneedecke bedeckte den Boden und ließ die Bäume wie spitze Silhouetten erscheinen. Im Mälarsee schwammen halb gefrorene Eisschollen, doch in diesem Jahr würde er wohl kaum mehr vollständig zufrieren. Denn es war bereits Anfang März.
    Sie las den Text erneut durch, diesmal langsamer, als wolle sie sich jedes Wort genau einprägen.
    »Sieben Jahre«, murmelte sie. »Sind denn schon sieben Jahre vergangen?«
    Oder noch mehr, eine halbe Ewigkeit, denn in genau diesem Zimmer hatten zwei Menschen ihr Leben verloren, ihre Mutter, als eine Arterie in ihrem Kopf geplatzt war, das Geräusch eines auf dem Boden aufschlagenden Kopfes, sie wandte sich um und erahnte das vierjährige Kind, das sie selbst zu dem Zeitpunkt gewesen war, das Zimmer wie ein hohes Gewölbe um sie herum, ein Kirchengewölbe mit hallenden Rufen.
    Und später: Berit.
    In diesem Fall waren die Geräusche eher von Zorn und Gewalt geprägt gewesen und scharf wie Scherben.
    »Verzeih mir«, flüsterte sie. »Ich bin zu weit gegangen, und ich bereue es.«
    Im selben Augenblick blitzte es draußen vor dem Fenster auf, ein Lichtkegel vor dem bleigrauen Himmel.
    Hans Peters Stimme auf dem Treppenabsatz.
    »Hast du das gesehen? Was zum Teufel war das?«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete sie leise.
    »Um diese Jahreszeit gibt es doch normalerweise kein Gewitter, oder? Na ja, wie dem auch sei, heutzutage
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